Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
erst anfangen, so recht zu leben.«
»Ja, so habe ich vor kurzem auch noch gedacht; aber jetzt weiß ich, daß ich bald sterben werde.«
Was Ljewin da sagte, war in der letzten Zeit seine aufrichtige Überzeugung geworden. Er sah in allem nur den Tod oder das Herannahen des Todes. Aber das Unternehmen, das er in die Wege geleitet hatte, interessierte und beschäftigte ihn nur um so mehr. Er mußte doch das Leben ausnutzen, ehe der Tod kam. Dunkelheit verhüllte ihm die ganze Zukunft; aber gerade infolge dieser Dunkelheit hatte er die Vorstellung, daß der einzige leitende Faden in dieser Dunkelheit sein Unternehmen sei, und mit letzter Kraft griff er nach diesem Faden und hielt ihn fest.
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1 (frz.) Halbpächter.
VIERTER TEIL
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K arenins, Mann und Frau, fuhren fort, unter demselben Dache zu leben und trafen täglich miteinander zusammen; aber sie waren sich vollständig fremd geworden. Alexei Alexandrowitsch hatte es sich zur Regel gemacht, seine Frau täglich zu sehen, damit die Dienerschaft keinen Anlaß habe, sich irgendwelche Gedanken zu machen; aber er vermied es, das Mittagessen zu Hause einzunehmen. Wronski zeigte sich niemals in Alexei Alexandrowitschs Hause; aber Anna traf mit ihm außerhalb des Hauses zusammen, und ihr Mann wußte das.
Diese Lage war für alle drei qualvoll, und keiner von ihnen wäre imstande gewesen, auch nur einen Tag lang in ihr auszuhalten, wenn nicht ein jeder darauf gerechnet hätte, daß diese Lage sich ändern werde, und sich gesagt hätte, daß es nur eine zeitweilige, leidvolle Prüfung sei, die vorübergehen werde. Alexei Alexandrowitsch wartete darauf, daß diese Leidenschaft vergehen werde, wie ja alles in der Welt vergehe, und daß dann bei allen Leuten diese Geschichte in Vergessenheit kommen und sein Name unbefleckt bleiben werde. Anna, durch die diese Lage herbeigeführt war und für die sie noch qualvoller war als für die beiden andern, ertrug sie, weil sie nicht nur hoffte, sondern fest davon überzeugt war, daß sich alles bald entwirren und klären werde. Sie wußte zwar ganz und gar nicht, wodurch diese Entwirrung und Klärung herbeigeführt werden sollte; aber sie war fest überzeugt, daß irgendein derartiges Ereignis in allernächster Zeit eintreten werde. Wronski, der sich ihren Anschauungen unwillkürlich anschloß, wartete gleichfalls auf irgendein von seinen eigenen Entschließungen unabhängiges Geschehnis, durch das alle Schwierigkeiten behoben werden sollten.
Um die Mitte des Winters verlebte Wronski eine Woche in recht langweiliger Weise. Er war zu einem ausländischen Prinzen kommandiert worden, der sich besuchsweise in Petersburg aufhielt, und mußte diesem die Sehenswürdigkeiten der Residenz zeigen. Wronski war in seiner äußeren Erscheinung zu würdevollem Auftreten sehr geeignet; außerdem verstand er die Kunst, sich in würdiger Weise achtungsvoll zu benehmen, und war am den Verkehr mit solchen hohen Herren gewöhnt; daher eben hatte man ihn dem Prinzen beigegeben. Aber er empfand diese Obliegenheit als eine sehr unbequeme Last. Der Prinz wollte nichts weglassen, wonach man ihn zu Hause fragen könnte, ob er es auch in Rußland gesehen habe; und zweitens hegte er auch persönlich den Wunsch, die russischen Vergnügungen nach Möglichkeit durchzukosten. Wronskis Aufgabe war es, ihm in der einen wie in der andern Hinsicht als Führer zu dienen. Vormittags fuhren sie umher, um die Sehenswürdigkeiten in Augenschein zu nehmen; abends beteiligten sie sich an den echt russischen Vergnügungen. Der Prinz erfreute sich einer sehr guten Gesundheit, wie sie sogar bei Prinzen selten ist; durch Turnen und gute Körperpflege hatte er sich derart gekräftigt, daß er trotz des Übermaßes, mit dem er sich den Vergnügungen hingab, so frisch war wie eine große, grüne, glänzende holländische Gurke. Der Prinz war schon viel gereist und fand, daß einer der wichtigsten Gewinne aus der jetzigen Vervollkommnung der Verkehrsmittel darin bestehe, daß einem die Vergnügungen der verschiedenen Völker zugänglich geworden seien. Er war in Spanien gewesen, hatte dort Serenaden gebracht und war mit einer Spanierin, die Mandoline spielte, in nähere Beziehungen getreten. In der Schweiz hatte er eine Gemse geschossen. In England hatte er im roten Frack sein Pferd über Zäune setzen lassen und aus Anlaß einer Wette zweihundert Fasanen geschossen. In der Türkei war er in einem Harem gewesen, in Indien auf einem Elefanten
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