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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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geritten, und jetzt in Rußland wollte er alle echt russischen Vergnügungen genießen.
     
    Wronski, der bei ihm gewissermaßen das Amt eines Oberzeremonienmeisters versah, hatte die größte Mühe, all die russischen Vergnügungen, die dem Prinzen von verschiedenen Personen empfohlen waren, auf dem Programm unterzubringen. Da waren Spazierfahrten mit Trabern und russische Pfannkuchen und Bärenjagden und Fahrten mit dem Dreigespann und Zigeunerkonzerte und Trinkgelage, bei denen nach russischem Brauche die Gläser zerschlagen wurden. Und der Prinz machte sich mit bewundernswerter Leichtigkeit das russische Wesen zu eigen, zerschlug ganze Präsentierbretter voll Gläser, nahm eine Zigeunerin auf den Schoß und machte immer ein Gesicht, als ob er fragen wollte: ›Was nun noch weiter? Oder ist das alles, worin das russische Wesen besteht?‹
     
    In Wahrheit gefielen von allen russischen Vergnügungen dem Prinzen am meisten die französischen Schauspielerinnen, eine Ballettänzerin und der weißgesiegelte Champagner. Wronski war gewohnt, mit Prinzen zu verkehren; aber (ob nun daher, daß er selbst sich in letzter Zeit verändert hatte, oder weil er mit diesem Prinzen in allzu nahe Berührung kam) diese Woche wurde ihm furchtbar schwer. Er hatte diese ganze Woche über ununterbrochen ein ähnliches Gefühl, wie wenn jemand einem gefährlichen Irrsinnigen beigesellt ist, den Irrsinnigen fürchtet und zugleich wegen des steten Verkehrs mit ihm um seinen eigenen Verstand besorgt ist. Wronski war sich beständig der Notwendigkeit bewußt, den Ton streng offizieller Ehrerbietigkeit auch nicht für eine Sekunde sinken zu lassen, um nicht selbst beleidigt zu werden. Denn mit einer Art von Verachtung behandelte der Prinz gerade diejenigen Personen, die zu Wronskis Verwunderung sich gar nicht genug darin tun konnten, ihm den Genuß russischer Vergnügungen zu verschaffen. Des Prinzen Urteil über die russischen Frauen, die er zu studieren wünschte, trieb seinem Begleiter Wronski mehrmals die Röte der Entrüstung ins Gesicht. Aber der Hauptgrund, weshalb ihn der Verkehr mit dem Prinzen so verdroß, war der, daß er unwillkürlich in dem Prinzen sein eigenes Ebenbild sah. Und was er in diesem Spiegel erblickte, das war für sein Selbstgefühl nicht besonders schmeichelhaft. Der Prinz war ein sehr törichter, sehr selbstbewußter, sehr gesunder und sehr reinlicher Mensch und weiter nichts. Er war ein Gentleman, das war richtig, und Wronski konnte es nicht leugnen. Er benahm sich gemessen und ohne Kriecherei gegen Höhergestellte, unbefangen und natürlich im Verkehr mit seinen Standesgenossen und behandelte Leute, die unter ihm standen, mit geringschätzigem Wohlwollen. Wronski selbst war von derselben Art und hielt das für eine sehr wertvolle Eigenschaft; aber im Verkehr mit dem Prinzen war er der Tieferstehende, und dieses halb geringschätzige, halb wohlwollende Benehmen ihm gegenüber versetzte ihn in Empörung.
     
    ›Ein dummes Stück Vieh! Bin ich wirklich auch so ein Kerl?‹ dachte er.
     
    Wie dem auch sein mochte, als sich Wronski am siebenten Tage, vor der Abreise des Prinzen nach Moskau, von ihm verabschiedet und eine Dankesbezeigung empfangen hatte, war er glücklich, aus dieser unbehaglichen Lage und von diesem unerfreulichen Spiegel freizukommen. Der Abschied fand morgens auf dem Bahnhofe statt, wohin sie soeben von einer Bärenjagd zurückgekehrt waren, bei der man ihnen die ganze Nacht hindurch eine Vorstellung auf dem Gebiete der russischen Unerschrockenheit gegeben hatte.
     

2
     
    N ach Hause zurückgekehrt, fand Wronski ein paar Zeilen von Anna vor. Sie schrieb: »Ich bin krank und unglücklich. Ich kann nicht ausfahren; aber ich kann es nicht länger ertragen, Sie nicht zu sehen. Kommen Sie heute abend! Um sieben Uhr fährt Alexei Alexandrowitsch in die Sitzung und bleibt dort bis zehn.« Er überlegte einen Augenblick, wie seltsam es doch sei, daß sie ihn so ohne weiteres zu sich rufe, trotz der von ihrem Manne gestellten Forderung, ihn nicht zu empfangen; aber dann entschied er sich dafür, hinzufahren.
     
    Wronski war in diesem Winter zum Obersten befördert worden, war damit aus dem Regiment ausgeschieden und wohnte nun allein für sich. Nachdem er gefrühstückt hatte, legte er sich sofort auf das Sofa, und nach fünf Minuten erfüllten sein Gehirn in wirrem Durcheinander Erinnerungen an die widerwärtigen Szenen, die er in den letzten Tagen mit angesehen hatte; dabei verknüpfte sich der

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