Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
wir sind gute Freunde. Ich kenne ihn sehr gut. Im vorigen Winter, bald nachdem ... nachdem Sie bei uns gewesen waren«, sagte sie mit einem schuldbewußten und zugleich doch vertrauensvollen Lächeln, »bekamen Dollys Kinder sämtlich Scharlach, und er machte zufällig einen Besuch bei ihr. Und können Sie sich das vorstellen«, fuhr sie flüsternd fort, »sie tat ihm so leid, daß er dablieb und ihr die Kinder pflegen half. Ja, und drei Wochen lang hat er bei ihnen im Hause gewohnt und die Kinder gepflegt wie eine Wärterin.«
»Ich erzähle eben Konstantin Dmitrijewitsch von Turowzün beim Scharlach«, sagte sie, indem sie sich zu ihrer Schwester hinüberbeugte.
»Ja, das war eine bewundernswerte Aufopferung, ein prächtiger Mensch!« erwiderte Dolly; sie blickte Turowzün an, der gemerkt hatte, daß von ihm gesprochen wurde, und lächelte ihm sanft zu. Ljewin sah noch einmal zu Turowzün hin und wunderte sich, wie es möglich gewesen war, daß er die Vortrefflichkeit dieses Mannes nicht schon früher in ihrem ganzen Umfange erkannt hatte.
»Verzeihung, Verzeihung, ich will nie wieder von andern Leuten schlecht denken!« sagte er fröhlich, und was er sagte, war in diesem Augenblick wirklich seine aufrichtige Empfindung.
12
I n dem begonnenen Gespräche über die Rechte der Frauen kamen auch heikle, in Gegenwart der Damen nicht wohl zu erörternde Fragen vor: über die Ungleichheit der Rechte in der Ehe. Peszow berührte bei Tische diese Fragen einige Male; aber Sergei Iwanowitsch und Stepan Arkadjewitsch lenkten ihn jedesmal behutsam wieder davon ab.
Als man von Tische aufgestanden war und die Damen das Zimmer verließen, folgte Peszow ihnen nicht, sondern wandte sich zu Alexei Alexandrowitsch und unternahm es, die Hauptursache dieser Ungleichheit darzulegen. Die Ungleichheit in der Stellung der Ehegatten hing seiner Ansicht nach damit zusammen, daß Untreue der Frau und Untreue des Mannes sowohl vom Gesetze wie auch von der öffentlichen Meinung nicht mit gleicher Schärfe verurteilt würden.
Stepan Arkadjewitsch trat schnell zu Alexei Alexandrowitsch heran und bot ihm zu rauchen an.
»Nein, danke, ich rauche nicht«, erwiderte Alexei Alexandrowitsch ruhig, und als wollte er geflissentlich zeigen, daß er dieses Thema nicht scheue, wandte er sich wieder mit kaltem Lächeln zu Peszow.
»Ich meine, die Gründe einer derartigen Anschauung liegen in der Natur der Dinge selbst«, sagte er und wollte nach dem Salon gehen; aber nun ergriff plötzlich und unerwartet Turowzün das Wort und wandte sich dabei unmittelbar an Alexei Alexandrowitsch.
»Haben Sie schon von Prjatschnikow gehört?« fragte Turowzün. Er hatte längere Zeit nichts gesagt und nun, durch den genossenen Champagner belebt, schon lange auf eine Gelegenheit gewartet, das ihn bedrückende Schweigen aufzugeben. »Wasili Prjatschnikow«, fuhr er mit dem ihm eigenen gutmütigen Lächeln um die feuchten, roten Lippen fort, indem er sich vorzugsweise an die bedeutendste Persönlichkeit unter den Gästen, an Alexei Alexandrowitsch, wandte, »Wasili Prjatschnikow hat sich, wie mir heute erzählt wurde, in Twer mit Kwitski duelliert und ihn erschossen.«
Wie es einem immer so vorkommt, als stoße man sich wie ausgesucht stets gerade an die schmerzhafte Stelle, so hatte jetzt Stepan Arkadjewitsch die Empfindung, daß das Gespräch heute unglücklicherweise jeden Augenblick Alexei Alexandrowitschs wunden Punkt berührte. Er wollte wieder seinen Schwager beiseite führen; aber Alexei Alexandrowitsch fragte selbst neugierig:
»Weshalb hat sich Prjatschnikow denn duelliert?«
»Wegen seiner Frau. Er hat sich wacker und schneidig benommen. Er hat ihn gefordert und erschossen!«
»Ah!« machte Alexei Alexandrowitsch gleichmütig und verließ, die Augenbrauen in die Höhe ziehend, den Speisesaal, um nach dem Salon zu gehen. Im Zwischenzimmer traf er Dolly.
»Wie freue ich mich, daß Sie gekommen sind«, redete sie ihn mit einem furchtsamen Lächeln an. »Ich habe dringend mit Ihnen zu reden. Wir können ja hier Platz nehmen.«
Alexei Alexandrowitsch setzte sich mit einem Ausdruck von Gleichgültigkeit, den die hinaufgezogenen Augenbrauen seinem Gesichte verliehen, neben Darja Alexandrowna und lächelte gezwungen.
»Es ist mir dies um so erwünschter«, versetzte er, »da ich Sie um Entschuldigung bitten und mich sogleich empfehlen wollte. Ich muß morgen abreisen.«
Darja
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