Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
das blaue schenken.
»Aber daß du das nicht begreifen kannst! Sie ist ja brünett, und das wird ihr nicht stehen ... Ich habe mir das alles überlegt.«
Als die Fürstin hörte, warum er eigentlich gekommen war, wurde sie halb im Scherz, halb im Ernst böse und schickte ihn nach Hause, damit er sich umkleide und Kitty nicht beim Frisieren störe, da Herr Charles jeden Augenblick kommen müsse.
»Sie hat sowieso schon alle diese Tage über nichts gegessen und ein schlechtes Aussehen bekommen, und nun machst du ihr noch Unruhe mit deinen Torheiten«, sagte sie zu ihm. »Mach, daß du wegkommst, mach, daß du wegkommst, lieber Freund!«
Schuldbewußt und beschämt, aber beruhigt kehrte Ljewin in sein Hotel zurück. Sein Bruder, Darja Alexandrowna und Stepan Arkadjewitsch, alle bereits in voller Festkleidung, warteten schon auf ihn, um ihn mit dem Heiligenbilde zu segnen. Es war jetzt keine Zeit mehr zu verlieren. Darja Alexandrowna mußte noch einmal nach ihrer Wohnung fahren, um ihren Sohn abzuholen, der, schön pomadisiert und mit gebrannten Löckchen, dazu bestimmt war, das Heiligenbild vor der Braut herzutragen. Dann mußte der eine Wagen geschickt werden, den Hochzeitsmarschall zu holen, und der andere, mit dem Sergei Iwanowitsch fahren sollte, nachher zurückgesandt werden ... Überhaupt waren da viele höchst verwickelte Erwägungen nötig. Eins aber stand fest: daß man sich nicht lange aufhalten durfte, denn es war schon halb sieben.
Das Segnen mit dem Heiligenbilde war nicht sehr wirkungsvoll. Stepan Arkadjewitsch stellte sich in komisch feierlicher Haltung neben seiner Frau auf, nahm das Heiligenbild, hieß Ljewin sich bis zur Erde verneigen, segnete ihn mit einem gutmütigen, etwas spöttischen Lächeln und küßte ihn dreimal. Das gleiche tat dann auch Darja Alexandrowna und fuhr darauf schleunigst ab, nachdem sie vorher den für die Wagen festgesetzten Fahrplan schnell noch einmal wieder umgestoßen hatte.
»Nun, dann wollen wir es so machen: bringe du ihn in unserm Wagen hin, und Sergei Iwanowitsch ist wohl so gut, zum Hochzeitsmarschall zu fahren und uns nachher den Wagen zu schicken.«
»Schön, sehr gern.«
»Ich fahre sofort mit ihm hin. Ist dein Gepäck schon weggeschafft?« fragte Stepan Arkadjewitsch.
»Jawohl, jawohl«, antwortete Ljewin und befahl Kusma, ihm beim Ankleiden behilflich zu sein.
3
E ine große Volksmenge, namentlich aus Frauen bestehend, umgab das Tor der für die Trauungsfeier hell erleuchteten Kirche. Die nicht weit genug nach der Mitte hatten vordringen können, drängten sich um die Fenster und blickten, einander stoßend und sich zankend, durch deren Gitter.
Mehr als zwanzig Wagen bildeten bereits auf der Straße nach Anweisung der Schutzleute eine lange Reihe. Ein Polizeioffizier stand, ohne Rücksicht auf die starke Kälte, in glänzender Uniform ohne Mantel am Eingang. Unaufhörlich kamen noch mehr Wagen vorgefahren, und blumengeschmückte Damen, die Schleppen mit der Hand tragend, und Herren, die Uniformmützen oder die schwarzen Hüte abnehmend, traten in die Kirche ein. In der Kirche waren bereits beide Kronleuchter und sämtliche Kerzen vor den Heiligenbildern angezündet. Die goldenen Heiligenscheine auf dem roten Untergrunde des Ikonostas, das Silber der Kronleuchter und Armleuchter und die Fliesen des Fußbodens und die Teppiche und die Kirchenfahnen auf den Chorestraden und die Altarstufen und die alten, schwarz gewordenen Bücher und die Leibröcke und die Chorhemden – alles war von Licht übergossen. Auf der rechten Seite der Kirche, in dem bunten Gewühl von Fräcken und weißen Halsbinden, von Uniformen und samtenen und seidenen Damenkleidern, Haaren, Blumen, entblößten Schultern und Armen und hoch hinaufreichenden Handschuhen, wurden mit gedämpfter Stimme lebhafte Gespräche geführt, die in der hohen Kuppel einen seltsamen Widerhall erweckten. Jedesmal, wenn der kreischende Ton der sich öffnenden Kirchtür sich vernehmen ließ, verstummte das Gespräch in dem dichten Schwarm, und alle schauten sich um in der Erwartung, das eintretende Brautpaar zu erblicken. Aber die Tür hatte sich schon mehr als zehnmal geöffnet, und jedesmal war es entweder ein verspäteter Gast, Herr oder Dame, gewesen, der sich dann auf der rechten Seite zu der Gruppe der Eingeladenen gesellte, oder eine Zuschauerin, die den Polizeioffizier zu täuschen oder auch zu erweichen gewußt hatte und sich nun dem links stehenden
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