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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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wieder.
     
    Anna schrieb an ihren Mann und bat ihn um die Scheidung. Gegen Ende November siedelten Wronski und Anna, nachdem die Prinzessin Warwara, die nach Petersburg reisen mußte, sich von ihnen getrennt hatte, nach Moskau über. Da sie jeden Tag Alexei Alexandrowitschs Antwort und im Anschluß an diese die Scheidung erwarteten, so wohnten sie jetzt wie Eheleute zusammen.
     

SIEBENTER TEIL
     

1
     
    L jewins wohnten schon mehr als zwei Monate in Moskau. Schon längst war jener Zeitpunkt vorüber, wo nach den zuverlässigsten Berechnungen von Leuten, die mit diesen Dingen Bescheid wußten, Kittys Entbindung hätte stattfinden müssen; aber die Schwangerschaft dauerte immer noch fort, und aus keinem Anzeichen war zu entnehmen, daß das wichtige Ereignis jetzt näher bevorstehe als vor zwei Monaten. Der Arzt und die Hebamme und Dolly und die Mutter und ganz besonders Ljewin, der ohne Angst gar nicht an das, was herannahte, denken konnte, alle begannen sie ungeduldig und unruhig zu werden; nur Kitty fühlte sich völlig ruhig und glücklich.
     
    Sie merkte jetzt deutlich, wie in ihrem Herzen ein neues Gefühl der Liebe zu dem künftigen, für sie zum Teil schon gegenwärtigen Kinde heranwuchs, und überließ sich mit Wonne diesem Gefühl. Das Kind war jetzt nicht mehr lediglich ein Teil von ihr, sondern führte mitunter schon sein eigenes, von ihr unabhängiges Leben. Oft verursachte ihr das körperlichen Schmerz; aber zugleich kam sie die Lust an, laut aufzulachen in einem seltsamen, neuen Freudengefühl.
     
    Alle, die sie liebte, waren um sie, und alle waren so gut und lieb zu ihr und zeigten sich so eifrig auf ihr Wohl bedacht, und überall trat ihr so ausschließlich nur Angenehmes und Freundliches entgegen, daß, wenn sie nicht gewußt und gefühlt hätte, daß dieser Zustand bald ein Ende nehmen müsse, sie sich gar kein besseres, angenehmeres Leben hätte wünschen können. Das einzige, was ihr den vollen Genuß dieses Daseins beeinträchtigte, war der Umstand, daß ihr Mann nicht so war, wie sie ihn gern hatte und wie er auf dem Lande zu sein pflegte.
     
    Sie liebte sein ruhiges, heiteres, gastfreundliches Wesen auf dem Lande. In der Stadt dagegen schien er immer unruhig und auf der Hut zu sein, als fürchte er, es könne jemand ihm und namentlich ihr etwas zuleide tun. Dort auf dem Lande, wo er offenbar das Bewußtsein hatte, daß er an seinem Platze sei, hatte er nie gehastet und war nie unbeschäftigt gewesen. Hier in der Stadt hatte er es fortwährend eilig, als wolle er dies oder das nicht versäumen, und dabei hatte er eigentlich gar nichts zu tun. Und er tat ihr leid. Auf andere Leute, das wußte sie, machte er keinen bemitleidenswerten Eindruck; im Gegenteil, wenn Kitty ihn in Gesellschaft beobachtete, wie man wohl manchmal einen geliebten Menschen beobachtet und sich bemüht, ihn wie einen Fremden anzusehen, um sich vorstellen zu können, welchen Eindruck er auf andere mache, so bemerkte sie sogar mit einer Art von eifersüchtiger Bangigkeit, daß er mit seinem wohlgesitteten Anstande, mit seiner etwas altmodischen, schüchternen Höflichkeit den Damen gegenüber, mit seiner kräftigen Gestalt und mit seinem, wie es ihr schien, besonders ausdrucksvollen Gesicht keineswegs eine bemitleidenswerte, sondern vielmehr eine sehr anziehende Erscheinung war. Aber vorwiegend betrachtete sie ihn nicht von außen, sondern sozusagen von innen heraus, und dabei sah sie, daß er hier nicht der echte Ljewin war; anders konnte sie sich seinen Zustand nicht erklären. Zuzeiten machte sie es ihm im stillen zum Vorwurf, daß er es nicht verstehe, in der Stadt zu leben; zu anderer Zeit aber wieder sagte sie sich, daß es wirklich für ihn eine schwere Aufgabe sei, hier sein Leben so zu gestalten, daß es ihm selbst Befriedigung gewähre.
     
    Und in der Tat, was sollte er hier tun? Das Kartenspiel machte ihm kein Vergnügen. In den Klub ging er nicht. Mit Lebemännern von Oblonskis Schlage zu verkehren, jetzt wußte sie schon, was das bedeutete: das bedeutete, an argen Trinkgelagen teilzunehmen und nachher böse, böse Orte zu besuchen. Sie konnte ohne Entsetzen gar nicht daran denken, wohin sich die Männer bei solchen Gelegenheiten zu begeben pflegten. Oder sollte er am Gesellschaftsleben teilnehmen? Aber sie wußte, dazu gehörte, daß einem die Annäherung an junge Damen Vergnügen machte; und daß das bei ihrem Manne der Fall wäre, konnte sie doch auch nicht wünschen. Oder sollte er mit ihr und ihrer

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