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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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eine Bewegung, die eine Liebkosung für seine Frau und für die Kinder bedeutete, und
    schritt mit jugendlichem Gange auf dem Fußweg dahin.
    »Stiwa! Stiwa!« rief ihm Dolly errötend nach.
    Er wendete sich um.
    »Ich muß ja für Grigori und Tanja Mäntel kaufen. Gib mir doch Geld!«
    »Ach, das macht nichts; sage nur, ich würde es bezahlen!« Er nickte noch einem vorbeifahrenden Bekannten
    vergnügt zu und war verschwunden.

7
    Der folgende Tag war ein Sonntag. Stepan Arkadjewitsch fuhr nach dem Großen Theater zur Ballettprobe,
    überreichte dem Fräulein Mascha Tschibisowa, einer hübschen, dank seiner Fürsprache soeben angestellten Tänzerin,
    den Korallenschmuck, den er ihr am Abend vorher versprochen hatte, und machte es möglich, hinter den Kulissen in
    der Dunkelheit, die bei Tage in Theatern zu herrschen pflegt, ihr hübsches, vor Freude über das Geschenk
    strahlendes Gesichtchen zu küssen. Abgesehen von der Einhändigung des Korallenschmucks wollte er auch noch mit ihr
    ein Stelldichein nach dem Ballett verabreden. Er teilte ihr mit, es sei ihm nicht möglich, zum Anfange des Balletts
    da zu sein, versprach aber, zum letzten Akte zu kommen und sie zum Abendessen mitzunehmen. Vom Theater fuhr Stepan
    Arkadjewitsch nach der Markthalle, suchte dort persönlich die Fische und den Spargel für das Mittagessen aus und
    war schon um zwölf Uhr bei Dussot, wo er drei Herren besuchen wollte, die glücklicherweise alle in diesem selben
    Hotel wohnten: erstens Ljewin, der unlängst aus dem Auslande zurückgekehrt war und sich nun ein Weilchen in Moskau
    aufhielt, zweitens seinen neuen Vorgesetzten, der eben erst dieses höhere Amt angetreten hatte und nun in Moskau
    eine Revision vornahm, und drittens seinen Schwager Karenin, um ihn unter allen Umständen zum Mittagessen
    mitzunehmen.
    Stepan Arkadjewitsch war überhaupt ein Freund vom Essen; ganz besonderes Vergnügen aber machte es ihm, ein Essen
    zu geben, klein, aber fein, sowohl was die Speisen und Getränke wie auch was die Auswahl der Gäste anlangte. Das
    Programm des heutigen Mahles gefiel ihm außerordentlich: es sollte Barsche geben, die er lebend gekauft hatte,
    Spargel und, als etwas Besonderes, ein wundervolles, aber ganz einfaches Roastbeef; dazu die zugehörigen Weine;
    dies also würden die Speisen und Getränke sein. An Gästen sollten da sein Kitty und Ljewin und, damit das nicht zu
    auffällig aussähe, noch eine Cousine und der junge Schtscherbazki, und als Überraschung unter den Gästen Sergei
    Kosnüschew und Alexei Karenin. Sergei Kosnüschew war Moskauer und Philosoph, Alexei Karenin Petersburger und
    Praktiker. Dazu wollte er dann, außer seinem Schwiegervater und Herrn Turowzün, noch den bekannten sonderbaren
    Schwärmer Peszow einladen, einen Fortschrittler, eifrigen Redner, Musiker, Historiker und überaus liebenswürdigen
    fünfzigjährigen Jüngling; dieser sollte gleichsam die Sauce oder Garnierung zu Kosnüschew und Karenin vorstellen.
    Diese beiden beabsichtigte Stepan Arkadjewitsch ein bißchen aufzureizen und aneinanderzuhetzen.
    Die zweite Rate des Kaufpreises für den Wald hatte er von dem Händler erhalten und noch nicht verausgabt; Dolly
    war in der letzten Zeit sehr lieb und gut gewesen, und der Gedanke an dieses Mahl machte Stepan Arkadjewitsch in
    jeder Hinsicht viel Freude. So befand er sich denn in der fröhlichsten Stimmung. Zwei Umstände waren allerdings
    einigermaßen unerfreulich; aber diese beiden Umstände gingen unter in dem Meere gutmütiger Fröhlichkeit, das in
    Stepan Arkadjewitschs Seele wogte und wallte. Die beiden Umstände waren folgende. Erstens war ihm tags zuvor, als
    er Alexei Alexandrowitsch auf der Straße getroffen hatte, dessen kühles, trockenes Benehmen ihm gegenüber
    aufgefallen; und wenn er diesen Gesichtsausdruck Alexei Alexandrowitschs sowie den Umstand, daß dieser ihn nicht
    besucht und ihm von seiner Anwesenheit keine Mitteilung gemacht hatte, mit den Gerüchten zusammenhielt, die ihm
    über Anna und Wronski zu Ohren gekommen waren, so mußte er auf die Vermutung kommen, daß dort zwischen Mann und
    Frau nicht alles in Ordnung sei.
    Das war die eine Unannehmlichkeit. Die andere kleine Unannehmlichkeit war die, daß der neue Vorgesetzte, wie
    alle neuen Vorgesetzten, bereits in dem Rufe eines schrecklichen Menschen stand, der früh um sechs aufstehe, wie
    ein Pferd arbeite und ein gleiches Arbeitsquantum auch von seinen Untergebenen verlange. Außerdem hieß es noch von
    diesem

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