Anna Karenina
waren. Alle diese Antworten waren die Ergebnisse amtlicher
Feststellungen, der Berichte der Gouverneure und Bischöfe, die auf den Berichten der Kreisbehörden und Pröpste
beruhten, die ihrerseits sich wieder auf die Berichte der Gemeindevorsteher und Pfarrgeistlichen stützten, und
daher konnte sich an all diese Antworten kein Zweifel heranwagen. Alle jene Fragen, zum Beispiel, weshalb mitunter
Mißernten vorkommen, warum die Einwohner an ihren religiösen Überzeugungen festhalten, Fragen, die ohne die
angenehme Beihilfe der amtlichen Maschine jahrhundertelang ungelöst geblieben waren und ohne diese Beihilfe
überhaupt nicht gelöst werden konnten, diese Fragen erhielten hier eine klare, über jeden Zweifel erhabene Lösung.
Und diese Lösung war zugunsten von Alexei Alexandrowitschs Ansicht ausgefallen. Aber Stremow, der sich in der
letzten Sitzung an einem wunden Punkte berührt gefühlt hatte, wandte beim Eintreffen der Kommissionsberichte eine
Taktik an, auf die Alexei Alexandrowitsch nicht gefaßt gewesen war. Nachdem er sich nämlich für seinen Plan des
Beistandes einiger anderer Mitglieder versichert hatte, ging er plötzlich auf Alexei Alexandrowitschs Seite über
und befürwortete nicht nur mit großer Wärme die Einführung der von diesem vorgeschlagenen Maßregeln, sondern schlug
auch noch in demselben Geiste weitere, über das Ziel hinausschießende Maßregeln vor. Diese Maßregeln, eine
Übertreibung des Grundgedankens Alexei Alexandrowitschs, wurden angenommen, und nun wurde der Zweck, den Stremow
mit seiner Taktik verfolgt hatte, verständlich. Diese auf die Spitze getriebenen Maßnahmen erwiesen sich sehr
schnell als so töricht, daß gleichzeitig hohe Staatsmänner und die öffentliche Meinung und kluge Damen und die
Zeitungen alle zusammen über diese Maßregeln herfielen und ihrer Entrüstung sowohl über diese Maßregeln selbst wie
auch über Alexei Alexandrowitsch, der als deren Vater galt, lebhaften Ausdruck gaben. Stremow trat nun sachte zur
Seite und stellte sich, als habe er sich nur blindlings Karenins Plänen angeschlossen und sei nun selbst erstaunt
und bestürzt über das, was dabei herausgekommen sei. Dadurch wurde Alexei Alexandrowitsch sehr in Nachteil
gebracht. Aber trotz seiner angegriffenen Gesundheit, trotz seiner häuslichen Kümmernisse ergab er sich nicht.
Innerhalb der Kommission trat eine Spaltung ein. Manche Mitglieder, mit Stremow an der Spitze, entschuldigten ihren
Irrtum damit, daß sie sagten, sie hätten der von Alexei Alexandrowitsch ins Leben gerufenen Revisionskommission,
die den Bericht erstattet habe, Glauben geschenkt; aber der Bericht dieser Kommission sei lauter dummes Zeug und
nur unnütz vollgeschriebenes Papier. Alexei Alexandrowitsch und mit ihm die Partei derer, die das Gefährliche eines
derartigen umstürzlerischen Verhaltens amtlichen Schriftstücken gegenüber erkannten, verharrten in ihrer Stellung
als Verteidiger der von der Revisionskommission beschafften Unterlagen. Infolgedessen gerieten in den höheren und
selbst in den besseren gesellschaftlichen Kreisen die Ansichten vollständig in Verwirrung, und obwohl alle sich auf
das lebhafteste dafür interessierten, so konnte doch niemand zu einer klaren Anschauung gelangen, ob nun die
Fremdvölker wirklich in Not und Elend versunken seien und dem Untergange entgegengingen oder sich im blühendsten
Zustande befänden. Alexei Alexandrowitschs Stellung wurde hierdurch und zum Teil auch durch die Mißachtung, welche
die Untreue seiner Frau über ihn gebracht hatte, stark erschüttert. In dieser Lage faßte Alexei Alexandrowitsch
einen hochbedeutsamen Entschluß. Zum größten Erstaunen der Kommission erklärte er, er werde um die Genehmigung
einkommen, sich zur Untersuchung der Sache selbst an Ort und Stelle begeben zu dürfen. Und nachdem Alexei
Alexandrowitsch diese Genehmigung erhalten hatte, machte er sich auf die Reise nach den fernen Gouvernements.
Seine Abreise erregte viel Aufsehen, um so mehr, da er im Augenblicke der Abfahrt in amtlicher Form mit einem
Begleitschreiben die Reisegelder zurückgereicht hatte, die ihm für zwölf Pferde zur Fahrt bis nach dem
Bestimmungsorte ausgezahlt worden waren.
»Ich finde, das ist sehr vornehm von ihm gedacht«, sagte mit Bezug darauf Betsy zur Fürstin Mjachkaja. »Wozu
werden denn Gelder für Postpferde gezahlt, während doch jeder Mensch weiß, daß es jetzt überall Eisenbahnen
gibt?«
Aber die Fürstin Mjachkaja
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