Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
Vom Netzwerk:
etwas ebenso Geringfügiges und Unbedeutendes sind wie die Einkreisung
    und Erlegung dieser Bärin. Und so verbringt man sein Leben, indem man sich durch Jagd und Arbeit zerstreut, um nur
    nicht an den Tod zu denken.«
    Stepan Arkadjewitsch lächelte in einer feinen, freundlichen Weise, während er das mit anhörte.
    »Na, selbstverständlich! Da bist du ja ganz meiner Meinung geworden; besinnst du dich noch, wie du über mich
    herfielst, weil ich eingestand, daß ich im Leben mir möglichst viel Genuß zu verschaffen suche? Also sei nicht so
    streng, du Moralprediger!«
    »Nein, es gibt doch auch wahrhaft Gutes im Leben ...« Ljewin geriet in Verwirrung. »Aber ich weiß darüber
    nichts. Ich weiß nur, daß wir bald sterben werden.«
    »Aber warum denn bald?«
    »Und, weißt du, das Leben hat ja zwar weniger Reiz, wenn man an den Tod denkt, aber man wird doch ruhiger.«
    »Im Gegenteil, zu guter Letzt wird es immer lustiger. Na, aber nun muß ich gehen«, sagte Stepan Arkadjewitsch
    und stand zum zehnten Male auf.
    »Aber nein, so bleib doch noch ein bißchen hier!« bat Ljewin und hielt ihn fest. »Wann werden wir uns denn nun
    wiedersehen? Ich reise morgen ab.«
    »Ich bin aber gut! Und bin besonders deshalb hergekommen! Du mußt unter allen Umständen heute zu uns zum
    Mittagessen kommen. Dein Bruder kommt auch, und auch mein Schwager Karenin kommt.«
    »Ist er denn hier?« erwiderte Ljewin und wollte schon nach Kitty fragen. Er hatte gehört, daß sie zu Anfang des
    Winters in Petersburg bei ihrer anderen Schwester, der Frau eines Diplomaten, zu Besuch gewesen war, wußte aber
    nicht, ob sie von dort schon zurückgekehrt sei oder nicht. Er besann sich jedoch eines andern und fragte nicht. ›Ob
    sie heute da ist oder nicht, mir kann es gleich sein‹, sagte er sich.
    »Also du kommst?«
    »Ja, natürlich.«
    »Also um fünf Uhr, im Oberrock.«
    Stepan Arkadjewitsch stand auf und ging ein Stockwerk tiefer zu seinem neuen Vorgesetzten. Sein Gefühl hatte ihn
    nicht betrogen. Der schreckliche neue Vorgesetzte erwies sich als ein sehr umgänglicher Mann; Stepan Arkadjewitsch
    frühstückte mit ihm und blieb dabei so lange sitzen, daß er erst zwischen drei und vier Uhr zu Alexei
    Alexandrowitsch kam.

8
    Nachdem Alexei Alexandrowitsch vom Meßgottesdienste zurückgekehrt war, hatte er den ganzen Vormittag zu Hause
    zugebracht. An diesem Vormittage hatte er zweierlei zu tun. Erstens mußte er eine Abordnung der Fremdvölker, die
    sich nach Petersburg begeben wollte und sich augenblicklich in Moskau befand, empfangen und unterweisen; zweitens
    mußte er dem Rechtsanwalte den in Aussicht gestellten Brief schreiben. Obgleich die Abordnung auf Alexei
    Alexandrowitschs eigene Anregung hin nach Petersburg gerufen worden war, konnte ihre Ankunft dort doch mancherlei
    mißliche Folgen haben, ja sogar gefährlich werden, und Alexei Alexandrowitsch war sehr froh, daß er sie noch in
    Moskau angetroffen hatte. Die Mitglieder dieser Abordnung hatten nicht die geringste Vorstellung von der Rolle, die
    sie zu spielen, und von den Pflichten, die sie zu erfüllen hatten. Sie hatten die naive Anschauung, daß ihre ganze
    Aufgabe darin bestände, ihre Nöte und die wirkliche Lage der Dinge darzulegen und die Regierung um Hilfe zu bitten,
    und konnten ganz und gar nicht begreifen, daß einige ihrer Mitteilungen und Forderungen zur Unterstützung der
    feindlichen Partei dienen und somit die ganze Sache verderben würden. Alexei Alexandrowitsch mühte sich lange mit
    ihnen ab. Er schrieb ihnen für das, was sie sagen sollten, ein Programm auf, innerhalb dessen sie sich zu halten
    hatten, und schrieb, nachdem er die Leute entlassen hatte, noch einige Briefe nach Petersburg, um die Abordnung
    dort auf dem richtigen Wege zu halten. Eine sehr wesentliche Hilfe in dieser Angelegenheit erwartete er von der
    Gräfin Lydia Iwanowna. Sie galt als Sachverständige in Abordnungsangelegenheiten, und niemand verstand es so gut
    wie sie, eine solche Sache ordentlich in Gang zu bringen und die Abgeordneten zweckmäßig zu führen. Nach Erledigung
    dieses Geschäftes schrieb Alexei Alexandrowitsch auch noch den Brief an den Rechtsanwalt. Ohne auch nur im
    geringsten zu schwanken, gab er ihm Vollmacht, zu verfahren, wie er es für nützlich halten werde. In diesen Brief
    legte er drei Briefe Wronskis an Anna ein, die sich in der von ihm beschlagnahmten Briefmappe befunden hatten.
    Seit Alexei Alexandrowitsch von zu Hause mit der Absicht weggereist war,

Weitere Kostenlose Bücher