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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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diese ganze Gesellschaft wie einen Teig derart durchgeknetet, daß der Salon einen sehr hübschen Anblick
    bot und die Stimmen munter und lebhaft durcheinanderklangen. Nur Konstantin Ljewin war noch nicht da. Aber das war
    ein wahres Glück; denn Stepan Arkadjewitsch hatte beim Betreten des Speisesaals zu seinem Schrecken bemerkt, daß
    der Portwein und der Sherry von Deprès und nicht von Löwe entnommen waren; er hatte darauf angeordnet, der Kutscher
    solle so schnell wie möglich zu Löwe geschickt werden, und wollte sich nun wieder in den Salon begeben.
    Auf dem Seitengang traf er mit Konstantin Ljewin zusammen.
    »Ich bin doch nicht zu spät gekommen?«
    »Als ob du überhaupt jemals pünktlich sein könntest!« erwiderte Stepan Arkadjewitsch und faßte ihn unter den
    Arm.
    »Hast du viele Gäste? Wer ist denn alles da?« fragte Ljewin mit unwillkürlichem Erröten und klopfte mit dem
    Handschuh den Schnee von seiner Mütze ab.
    »Nur Familie und gute Bekannte. Kitty ist auch da. Komm nur, ich will dich mit Karenin bekannt machen.«
    Stepan Arkadjewitsch war trotz seiner fortschrittlichen Gesinnung überzeugt, daß es einem jeden schmeichelhaft
    sein müsse, Karenins Bekanntschaft zu machen, und hatte deshalb seine besten Freunde mit diesem zusammen
    eingeladen. Aber augenblicklich war Ljewin außerstande, das Vergnügen dieser Bekanntschaft völlig zu würdigen. Er
    hatte Kitty nach jenem unauslöschlich in seinem Gedächtnisse haftenden Abende, an dem er mit Wronski
    zusammengetroffen war, nicht wiedergesehen, wenn er den kurzen Augenblick nicht rechnete, wo er sie auf der
    Landstraße erblickt hatte. In der Tiefe seines Herzens wußte er, daß er sie heute hier wiedersehen werde; aber um
    imstande zu sein, auch an anderes zu denken, hatte er versucht, sich einzureden, daß er es nicht wisse. Jetzt nun
    aber, wo er hörte, daß sie da sei, bemächtigte sich seiner eine solche Freude und zugleich eine solche Furcht, daß
    es ihm den Atem benahm und er das, was er sagen wollte, nicht herausbringen konnte.
    ›Wie wird sie sein? Wie wird sie sein? So, wie sie früher war, oder so, wie sie im Wagen war? Wie nun, wenn
    Darja Alexandrowna die Wahrheit gesagt hat? Und warum sollte es nicht die Wahrheit gewesen sein?‹ dachte er.
    »Ach ja, bitte, stelle mich Herrn Karenin vor«, brachte er endlich mühsam heraus, trat mit dem Mute der
    Verzweiflung in den Salon und erblickte sie.
    Sie war weder so wie früher noch so, wie sie im Wagen gewesen war; sie war eine ganz andere.
    Sie war erschrocken, schüchtern, beschämt und dadurch noch reizender. Sie sah ihn sofort, als er ins Zimmer
    trat. Sie hatte auf sein Kommen gewartet. Sie freute sich über sein Kommen und wurde über ihre Freude so verlegen,
    daß es einen Augenblick, gerade als er zur Hausfrau herantrat und ihr wieder einen Blick zuwarf, ihr und ihm und
    Dolly, die alles beobachtete, schien, sie würde sich nicht beherrschen können und in Tränen ausbrechen. Sie
    errötete, erblaßte, errötete wieder und wurde dann ganz starr, nur ihre Lippen zuckten. So wartete sie auf seine
    Annäherung. Er trat zu ihr, verbeugte sich und streckte ihr schweigend die Hand hin. Wäre nicht das leise Zittern
    ihrer Lippen gewesen und der feuchte Schimmer, der ihre Augen überzog und ihren Glanz noch erhöhte, so hätte ihr
    Lächeln beinahe ruhig und gleichmütig ausgesehen, als sie sagte:
    »Wie lange wir uns nicht gesehen haben!« Und mit einem verzweifelten Entschlusse drückte sie mit ihrer kalten
    Hand die seinige.
    »Sie haben mich nicht gesehen, aber ich habe Sie gesehen«, erwiderte Ljewin mit strahlendem, glückseligem
    Lächeln. »Ich habe Sie gesehen, als Sie von der Eisenbahn nach Jerguschowo fuhren.«
    »Wann denn?« fragte sie erstaunt.
    »Auf Ihrer Hinreise nach Jerguschowo«, antwortete Ljewin, und es war ihm, als ob der Strom des Glücks, der seine
    Seele überflutete, ihn ersticken müßte. ›Wie habe ich es nur wagen können‹, dachte er, ›mit diesem rührenden Wesen
    den Gedanken an irgendwelches Verschulden zu verknüpfen! Ja, was Darja Alexandrowna gesagt hat, scheint wirklich
    die Wahrheit zu sein.‹
    Stepan Arkadjewitsch ergriff ihn bei der Hand und führte ihn zu Karenin.
    »Gestattet, daß ich euch miteinander bekannt mache!« Er nannte beider Namen.
    »Es ist mir sehr angenehm, Ihnen wieder zu begegnen«, sagte Alexei Alexandrowitsch kühl und reichte Ljewin die
    Hand.
    »Ihr kennt euch schon?« fragte Stepan Arkadjewitsch verwundert.
    »Wir

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