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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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haben drei Stunden lang zusammen im Eisenbahnwagen gesessen«, versetzte Ljewin lächelnd, »trennten uns aber
    wie bei einem Maskenball, sehr neugierig, wer wohl der andere sein möge; wenigstens war das bei mir der Fall.«
    »Ei so etwas! Aber wenn ich bitten darf«, sagte Stepan Arkadjewitsch und wies mit der Hand in der Richtung nach
    dem Speisesaale.
    Die Herren begaben sich in den Speisesaal und traten an den Tisch mit den kalten Vorspeisen heran; dort standen
    sechs Sorten Liköre und ebenso viele Sorten Käse, teils mit kleinen silbernen Schaufeln, teils ohne solche, ferner
    Kaviar, Hering, allerlei Konserven und mehrere Teller mit Scheiben von Weißbrot.
    Die Herren standen um die duftenden Liköre und Vorspeisen herum, und das Gespräch über die Russifizierung
    Polens, das Sergei Iwanowitsch Kosnüschew, Karenin und Peszow führten, verstummte in Erwartung des nun nahe
    bevorstehenden Mittagessens.
    Sergei Iwanowitsch, der es wie kein anderer verstand, zum Zwecke der Beendigung des ernstesten Streites über die
    weltentrücktesten Gegenstände unerwartet etwas attisches Salz auszustreuen und dadurch die Stimmung der Streitenden
    zu verändern, befolgte diese Praxis auch jetzt.
    Alexei Alexandrowitsch hatte zu beweisen gesucht, daß die Russifizierung Polens nur mit den höheren
    Verwaltungsgrundsätzen durchgesetzt werden könne, die von der russischen Regierung dort eingeführt werden müßten.
    Peszow hingegen hatte behauptet, ein Land könne nur dann ein anderes sich angleichen, wenn es selbst dichter
    bevölkert sei.
    Kosnüschew hatte das eine wie das andere als richtig anerkannt, jedoch mit gewissen Einschränkungen. Als sie nun
    aus dem Salon in den Speisesaal gingen, sagte er, um das Gespräch abzuschließen, lächelnd:
    »Darum gibt es für die Russifizierung fremder Völker nur ein Mittel: möglichst viele Kinder zu erzeugen. Sehen
    Sie, ich und mein Bruder, wir entwickeln auf diesem Gebiete schmählicherweise die allergeringste Tätigkeit. Aber
    Sie, die verheirateten Herren, und namentlich Sie, Stepan Arkadjewitsch, wirken im höchsten Grade vaterländisch.
    Wie viele haben Sie denn eigentlich?« wandte er sich freundlich lächelnd an den Hausherrn und hielt ihm ein winzig
    kleines Likörgläschen zum Füllen hin.
    Alle lachten, besonders lustig Stepan Arkadjewitsch.
    »Ja, das ist das beste Mittel!« versetzte er, indem er seinen Käse hinterkaute und eine besonders feine Sorte
    Likör in das hingehaltene Gläschen einschenkte. So wurde das Gespräch wirklich durch dieses Späßchen beendet.
    »Dieser Käse ist nicht übel. Ist Ihnen nicht davon gefällig?« sagte der Hausherr. »Hast du wirklich wie der
    Gymnastik getrieben?« wandte er sich an Ljewin und befühlte mit der linken Hand dessen Armmuskel. Ljewin lächelte,
    straffte den Arm, und unter Stepan Arkadjewitschs Fingern erhob sich wie ein rundlicher Käse eine stahlharte
    Erhöhung unter dem feinen Tuche des Oberrockes.
    »So ein Bizeps! Du bist ja ein wahrer Simson!«
    »Ich glaube, daß man zur Bärenjagd große Kraft besitzen muß«, bemerkte Alexei Alexandrowitsch, der von dieser
    Jagd nur eine sehr nebelhafte Vorstellung hatte. Er strich sich Käse auf ein Scheibchen Weißbrot und zerriß dabei
    die Krume, die so dünn wie ein Spinngewebe geschnitten war.
    Ljewin lächelte.
    »Keineswegs. Im Gegenteil, ein kleines Kind kann einen Bärentöten«, antwortete er und trat mit einer leichten
    Verbeugung vor den Damen zur Seite, die, von der Hausfrau geleitet, sich jetzt dem Tische mit den kalten Vorspeisen
    näherten.
    »Sie haben einen Bären erlegt, wie mir gesagt worden ist?« redete ihn Kitty an; sie bemühte sich vergebens,
    einen widerspenstigen, immer wieder wegrutschenden Pilz mit der Gabel aufzuspießen, und schüttelte dabei ihre
    Spitzenmanschette, durch die ihre weiße Hand hindurchschimmerte. »Gibt es denn bei Ihnen Bären?« fügte sie hinzu
    und wandte in halber Drehung ihr reizendes Köpfchen lächelnd nach ihm hin.
    In dem, was sie sagte, schien nichts Außergewöhnliches zu liegen; aber welch ein Sinn, den sie ihm durch Worte
    nicht hätte ausdrücken können, lag in jedem Laute, in jeder Bewegung ihrer Lippen, Augen und Hände, während sie das
    sagte! Es lag darin eine Bitte um Verzeihung und ein zuversichtliches Vertrauen und etwas wie ein zartes,
    schüchternes Streicheln, und ein Versprechen, und eine Hoffnung und Liebe zu ihm, eine Liebe, an der er nicht
    zweifeln konnte und die ihm vor Glückseligkeit den

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