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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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passenden Pferde
    und die geflickten Kotflügel der Kutsche gemustert hatte, machte er den Vorschlag, die Damen möchten in dem
    leichten Wagen fahren.
    »Ich fahre dann in diesem Vehikel«, sagte er, auf die Kutsche weisend. »Der Traber ist ein sehr ruhiges Tier,
    und die Prinzessin kutschiert meisterhaft.«
    »Nein, nein, bleiben Sie nur ruhig, wo Sie gewesen sind«, sagte Anna, die herantrat, »und wir beide fahren in
    dem Kutschwagen.« Sie faßte Dolly unter dem Arm und führte sie fort.
    Darja Alexandrownas Augen wanderten hierhin und dorthin: zu diesem vornehmen Fuhrwerk, wie sie noch nie eines
    gesehen hatte, zu diesen prächtigen Pferden, zu diesen eleganten, vornehmen Gestalten, die sie umgaben. Aber am
    allermeisten war sie von der Veränderung überrascht, die mit der ihr so vertrauten, lieben Anna vorgegangen war.
    Eine andere Frau, die eine geringere Beobachtungsgabe besessen und Anna früher nicht gekannt hätte und namentlich
    sich nicht mit den Gedanken beschäftigt hätte, denen Darja Alexandrowna sich unterwegs überlassen hatte, würde an
    Anna überhaupt nichts Besonderes wahrgenommen haben. Aber jetzt war Dolly überrascht von jener zeitweiligen
    Schönheit, die nur in Zeiten der Liebe bei den Frauen vorkommt und die sie jetzt auf Annas Gesicht vorfand. Alles
    an diesem Gesicht: die Deutlichkeit der Grübchen in Kinn und Wangen, die Haltung der Lippen, das Lächeln, das
    gleichsam auf dem Gesicht umherhuschte, der Glanz der Augen, die Anmut und Geschwindigkeit der Bewegungen, der
    volle Klang der Stimme, ja sogar die Art, wie sie halb ärgerlich, halb freundlich auf Weslowskis Frage antwortete,
    ob sie ihm erlaube, sich auf ihren Pony zu setzen, um ihm den Rechtsgalopp beizubringen – alles war überaus
    reizvoll, und sie schien das selbst zu wissen und sich darüber zu freuen.
    Als die beiden Frauen in die Kutsche einstiegen, überkam sie beide plötzlich eine eigentümliche Verlegenheit.
    Anna fühlte sich verlegen unter dem forschend fragenden Blicke, mit dem Dolly sie ansah, Dolly dagegen deswegen,
    weil sie sich nach Swijaschskis Bemerkung über das »Vehikel« unwillkürlich der schmutzigen alten Kutsche schämte,
    in die sie mit Anna einstieg. Der Kutscher Filipp und der Gutsschreiber hatten dieselbe Empfindung. Der
    Gutsschreiber war, um seine Verlegenheit zu verbergen, mit besonderem Eifer den Damen beim Einsteigen behilflich;
    aber der Kutscher Filipp wurde mürrisch und nahm sich gleich von vornherein vor, sich durch diese äußerlichen
    Vorzüge nicht beeinflussen zu lassen. Mit spöttischem Lächeln betrachtete er den schwarzen Traber und war bereits
    im stillen mit seinem Urteil fertig, daß dieser Rappe da vor dem Wägelchen nur »für die Prominage« zu gebrauchen
    sei, aber nicht vierzig Werst bei Hitze ohne Ausspannung machen könne.
    Die Bauern waren alle von ihrem Ackerwagen aufgestanden, schauten neugierig und vergnügt die Begrüßung der
    angekommenen Dame mit an und machten dazu ihre Bemerkungen.
    »Die freuen sich aber mal; haben sich gewiß lange nicht gesehen«, meinte der kraushaarige Alte mit dem
    Baststreifen ums Haar.
    »Sieh mal, Onkel Gerasim, den Rapphengst! Der müßte die Garben einführen; das würde flink gehen!«
    »Guck mal! Die in Hosen, ist das ein Weibsbild?« sagte einer von ihnen, indem er auf Wasenka Weslowski wies, der
    sich auf den Damensattel setzte.
    »Nee, das ist eine Mannsperson. Sieh nur, wie geschickt er aufgesprungen ist!«
    »Na, Kinder, schlafen tun wir nun wohl nicht mehr?«
    »Wie werden wir denn jetzt noch schlafen!« sagte der Alte mit einem schrägen Blick nach der Sonne. »Der Mittag
    ist ja schon vorbei! Nehmt die Sensen, wir wollen uns wieder dranmachen!«

18
    Anna betrachtete Dollys mageres, müdes Gesicht, in dessen Falten sich der Staub gesammelt hatte, und wollte
    schon sagen, was sie dachte, nämlich daß Dolly magerer geworden sei; aber da fiel ihr ein, daß ihre eigene
    Schönheit noch gewachsen sei und daß auch Dollys Blick ihr dies gesagt habe; so seufzte sie denn und begann von
    sich selbst zu sprechen.
    »Du siehst mich an«, sagte sie, »und überlegst, ob ich in meiner Lage glücklich sein kann. Nun also: ich schäme
    mich, es zu bekennen; aber ich ... ich fühle mich in einer geradezu unverzeihlichen Weise glücklich. Es ist mir
    etwas wie Zauberei widerfahren, wie ein Traum, wo einem angst und bange ist und man auf einmal aufwacht und merkt,
    daß alle diese Schrecknisse gar nicht vorhanden sind. Ich bin

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