Anna Karenina
sie jagen!« Er wies mit der Hand auf vier Reiter
und zwei Personen in einem leichten Wagen, die auf dem Wege herankamen.
Es waren Wronski in Begleitung eines Jockeis sowie Weslowski und Anna zu Pferde und die Prinzessin Warwara und
Swijaschski im Wagen. Sie hatten einen Ausflug unternommen, zum Vergnügen und um die Tätigkeit der neu
angeschafften Mähmaschinen zu beobachten.
Als die Kutsche hielt, kam die Gruppe im Schritt näher. Voran ritt Anna mit Weslowski. Anna ritt ruhigen Schritt
auf einem kurzbeinigen, stämmigen, englischen Doppelpony mit geschorener Mähne und kurzem Schweif. Ihr schöner Kopf
mit dem schwarzen Haar, das unter dem hohen Hut hervorquoll, die vollen Schultern, die schlanke Hüfte in dem
schwarzen Reitkleid und ihre gesamte ruhige, anmutige Haltung auf dem Pferd erregten Dollys Bewunderung.
Im ersten Augenblick war es ihr unpassend erschienen, daß Anna ritt. Mit der Vorstellung vom Reiten einer Dame
war in Darja Alexandrownas Auffassung die Vorstellung von einer jugendlich leichtfertigen Koketterie verbunden, die
ihrer Meinung nach zu Annas Lage nicht paßte; aber als sie sie aus größerer Nähe betrachtete, söhnte sie sich
sofort mit ihrem Reiten aus. Trotz aller Vornehmheit lag in Annas Haltung, Kleidung und Bewegungen eine solche
Einfachheit, Ruhe und Würde, daß sich nichts Natürlicheres denken ließ.
Neben Anna ritt auf einem grauen, erhitzten Kavalleriepferde, die dicken Beine nach vorn gestreckt und offenbar
sehr stolz auf seine Erscheinung, Wasenka Weslowski, auf dem Kopf die schottische Mütze mit den flatternden
Bändern, und Darja Alexandrowna konnte, als sie ihn erkannte, ein heiteres Lächeln nicht unterdrücken. Hinter ihnen
ritt Wronski. Unter sich hatte er ein dunkelbraunes Vollblut, das offenbar bei dem Galopp sehr in Hitze geraten
war. Er arbeitete mit den Zügeln, um das Tier zurückzuhalten.
Hinter ihm ritt ein Mann von sehr kleiner Gestalt in Jockeitracht. Swijaschski und die Prinzessin kamen in einem
nagelneuen leichten Wagen mit einem stattlichen schwarzen Traber hinter den Reitern her.
Sobald Anna in der kleinen Gestalt, die in einer Ecke der alten Kalesche lehnte, Dolly erkannte, strahlte
plötzlich ein freudiges Lächeln auf ihrem Gesichte auf. Sie stieß einen kleinen Schrei aus, zuckte auf ihrem Sattel
zusammen und trieb das Pferd zum Galopp an. Als sie an den Kutschwagen herangekommen war, sprang sie ohne Hilfe ab
und lief, ihr Reitkleid aufraffend, zu Dolly. »Das hatte ich mir doch gedacht, daß du einmal kommen würdest, und
hatte doch auch wieder nicht gewagt, es zu hoffen! Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ich mich freue!« sagte
sie, indem sie bald ihr Gesicht gegen das Gesicht Dollys drückte und sie küßte, bald sich wieder zurückbog und sie
betrachtete. »Das ist einmal eine Freude, Alexei!« rief sie, sich nach Wronski zurückwendend, der vom Pferde
gestiegen war und sich den beiden Damen näherte.
Wronski nahm seinen hohen grauen Hut ab und trat zu Dolly.
»Sie können gar nicht glauben, wie sehr wir uns über Ihren Besuch freuen«, sagte er, indem er diesen Worten
einen besonders nachdrücklichen, herzlichen Ton verlieh und lächelnd seine kräftigen, weißen Zähne sichtbar werden
ließ.
Wasenka Weslowski begrüßte, ohne vom Pferde zu steigen, die Besucherin dadurch, daß er seine bebänderte Mütze
abnahm und freudig über dem Kopfe schwenkte.
»Das ist die Prinzessin Warwara«, antwortete Anna auf einen fragenden Blick Dollys, als der leichte Wagen sich
näherte.
»Ah!« machte Darja Alexandrowna, und ihr Gesicht drückte unwillkürlich ihr Mißvergnügen aus.
Die Prinzessin Warwara war Stiwas Tante, und Dolly kannte sie schon lange, ohne jedoch besondere Hochachtung vor
ihr zu hegen. Sie wußte, daß die Prinzessin Warwara von ihrer Jugend an bei reichen Verwandten von deren Gnade
gelebt hatte; aber daß sie jetzt bei dem ihr fremden Wronski lebte, fand Dolly unwürdig, und sie schämte sich für
die Verwandtschaft ihres Mannes. Anna bemerkte Dollys Gesichtsausdruck sehr wohl; sie wurde verlegen, errötete,
ließ ihr Reitkleid aus der Hand fallen und strauchelte darüber.
Darja Alexandrowna trat an den leichten Wagen heran, der angehalten hatte, und begrüßte kühl die Prinzessin
Warwara. Swijaschski war ihr gleichfalls bekannt. Er erkundigte sich, wie es seinem Freunde, diesem sonderbaren
Kauz, und seiner jungen Frau gehe, und nachdem er mit einem schnellen Blick die wenig zueinander
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