Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
Vom Netzwerk:
im Äußern unverändert gelassen.«
    »Wie schön!« rief Dolly und blickte mit aufrichtiger Bewunderung nach dem prächtigen, säulengeschmückten
    Gebäude, das aus dem verschiedenfarbigen Grün der alten Bäume des Gartens heraustrat.
    »Nicht wahr, es ist schön? Und vom Hause, von oben, hat man eine wundervolle Aussicht.«
    Sie fuhren in einen mit Kies bedeckten und mit Gartenanlagen geschmückten Vorhof hinein, wo zwei Arbeiter damit
    beschäftigt waren, ein umgegrabenes Blumenbeet mit unbearbeiteten porösen Steinen einzufassen, und hielten in der
    überdachten Anfahrt.
    »Ah, sie sind schon da!« sagte Anna, als sie die Reitpferde erblickte, die soeben von der Anfahrt weggeführt
    wurden. »Nicht wahr, das ist ein schönes Pferd? Es ist ein Doppelpony. Mein Liebling. Führe es hierher, und gebt
    mir Zucker! Wo ist der Graf?« fragte sie zwei aus dem Hause herbeieilende Diener in Galalivreen. »Ah, da ist er
    ja!« fuhr sie fort, als sie Wronski und Weslowski erblickte, die aus dem Tor traten, um die Damen zu empfangen.
    »Wo werden Sie die Fürstin unterbringen?« fragte Wronski, zu Anna gewendet, auf französisch, und begrüßte dann,
    ohne die Antwort abzuwarten, noch einmal Darja Alexandrowna, jetzt mit einem Handkuß. »Ich denke, im großen
    Balkonzimmer?«
    »Ach nein! Das ist gar zu abgelegen! Lieber im Eckzimmer; dann sehen wir uns häufiger. Nun, dann komm!« sagte
    Anna, nachdem sie ihrem Lieblingspferde den Zucker gegeben hatte, den ihr einer der Diener herausgebracht
    hatte.
    »Et vous oubliez votre devoir« 1 , wandte sie sich
    an Weslowski, der gleichfalls vor das Tor herausgetreten war.
    »Pardon, j'en ai tout plein les poches« 2 ,
    erwiderte er lächelnd, indem er die Finger in die Westentasche steckte.
    »Mais vous venez trop tard« 3 , versetzte sie und
    wischte sich mit dem Taschentuch die Hand ab, die ihr das Pferd, als es den Zucker nahm, feucht gemacht hatte.
    Anna wandte sich an Dolly: »Bleibst du lange hier? Nur einen Tag? Das ist unmöglich!«
    »Ich habe es so versprochen, und die Kinder ...«, antwortete Dolly, die sehr verlegen war, weil sie ihre
    bescheidene Reisetasche aus dem Kutschwagen nehmen mußte und weil sie wußte, daß ihr Gesicht jedenfalls sehr
    bestaubt aussah.
    »Nein, nein, Dolly, mein Herzchen ... Nun, wir werden ja sehen. Komm, komm!« Und Anna führte Dolly nach dem
    Zimmer, wo sie wohnen sollte.
    Es war nicht das Prunkzimmer, das Wronski in Vorschlag gebracht hatte, sondern eines, für das Anna ihre Freundin
    erst ausdrücklich um Entschuldigung bat. Aber auch dieses Zimmer war mit einer Verschwendung ausgestattet, wie
    Dolly sie weder in ihrem Elternhause noch in ihrem eigenen Heim jemals um sich gehabt hatte und die sie an die
    besten ausländischen Hotels erinnerte.
    »Ach, mein Herzchen, wie glücklich ich bin!« sagte Anna, die sich auf einen Augenblick in ihrem Reitkleide neben
    Dolly gesetzt hatte. »Erzähle mir von deinen Kindern. Stiwa habe ich flüchtig gesehen; aber der versteht nicht von
    Kindern zu erzählen. Was macht mein Liebling Tanja? Sie ist wohl schon ein großes Mädchen, denke ich.«
    »Ja, recht groß«, antwortete Darja Alexandrowna kurz und wunderte sich selbst darüber, daß sie so kühl über ihre
    Kinder Auskunft gab. »Wir leben sehr hübsch bei Ljewins«, fügte sie hinzu.
    »Ja, wenn ich gewußt hätte, daß du mich nicht verachtest ...«, sagte Anna. »Ihr solltet alle zu uns herkommen.
    Stiwa ist ja ein alter guter Freund von Alexei«, fuhr sie fort und errötete plötzlich.
    »Ja, aber wir fühlen uns da so wohl ...«, antwortete Dolly verlegen.
    »Freilich, ich rede vor Freude dummes Zeug. Aber ich muß immer wieder sagen, mein Herzchen: wie freue ich mich
    über deinen Besuch!« sagte Anna und küßte sie noch einmal. »Du hast mir noch nicht gesagt, wie und was du über mich
    denkst; aber ich will alles wissen. Ich freue mich aber, daß du mich siehst, wie ich wirklich bin. Vor allen Dingen
    möchte ich nicht, daß die Leute dächten, ich wollte irgend etwas beweisen. Ich will gar nichts beweisen; ich will
    einfach nur leben, will niemandem Übles tun als mir selbst. Das ist doch mein Recht, nicht wahr? Aber das ist ein
    Punkt, über den sich viel sagen läßt, und wir wollen über das alles noch in Ruhe miteinander reden. Jetzt gehe ich
    mich umkleiden und werde dir das Mädchen schicken.«
Fußnoten
    1 (frz.) Und Sie vergessen Ihre
    Pflicht.
    2 (frz.) Verzeihung, meine Taschen sind
    bis oben hin voll davon.
    3 (frz.)

Weitere Kostenlose Bücher