Anna Strong Chronicles 01 - Verführung der Nacht
herauszuhalten. »Ich werde tun, was immer nötig ist, damit Sie sich wohl fühlen.«
Oder auch nicht.
Er kommt mit der Wasserflasche in der Hand ins Wohnzimmer zurück. »Also, wo waren wir gerade?« Ich gebe es auf.
Aber ich werde sein Spielchen nicht mitmachen. »Sie wollten mir gerade sagen, was es mit dieser >Nachtwache< oder so auf sich hat«, sage ich mit lauter, klarer Stimme.
Er trinkt aus der Flasche und setzt sich wieder auf das Sofa, mir zugewandt.
»Vor langer Zeit, bevor es Polizisten oder Soldaten gab, wurden Dörfer und Städte von Wächtern beschützt, die mit Schwertern und Laternen nachts durch die Straßen gingen. Sie riefen die Stunde aus und verkündeten den Leuten mit ihrem Signal, dass alles ruhig war. Man nannte sie Nachtwächter.«
»Das tun Sie also? Sie laufen nachts durch die Straßen und rufen: >Alles in Ordnung Und wenn das Ihr Job ist, wo zum Teufel waren Sie dann, als Donaldson mich angegriffen hat? Da war ganz sicher nicht alles ruhig.« Er schüttelt den Kopf, und ein genervter Zug spielt um seinen Mund. »Ich will damit nicht sagen, dass ich wortwörtlich nachts in den Straßen patrouilliere. Ich wollte Ihnen damit nur einen Bezug vermitteln.«
Ich freue mich, dass er allmählich sauer wird, mich nervt er nämlich schon lange. »Schön, ich habe Ihren Bezug kapiert. Aber da wir zufällig im einundzwanzigsten Jahrhundert leben, bedeutet er mir nichts. Würden Sie mir vielleicht in ganz normalen Begriffen erklären, was genau Sie tun?« Die finstere Miene hellt sich auf. »Ich gehöre zu einem Kontingent von Vampiren, die in ihrer jeweiligen Gesellschaft Ausschau nach Anzeichen vampirischer Aktivität halten und eingreifen, wenn es nötig ist, um das Gleichgewicht zwischen den Lebenden und den Untoten zu wahren.« Den Untoten? Dieser eine Begriff vertreibt den ganzen Rest seiner pedantisch heruntergeleierten Definition mit einem Schlag aus meinem Verstand.
»Untote?«, höre ich mich kreischen. »Das bin ich also jetzt?
Untot?« »Nun ja, strenggenommen schon.« O Gott. Ich springe wieder auf, unfähig, das Zittern zu beherrschen, das meinen ganzen Körper befällt. Mein Herz wummert wie eine Pauke Moment mal. Mein Herz?
Ich presse eine Hand an meine Brust. Ja, es schlägt. Schneller als es sollte, aber es schlägt. Ich blicke auf und merke, dass Avery mich mit belustigtem Grinsen beobachtet. »Ja«, sagt er. »Ihr Herz schlägt. Und das wird es weiterhin tun, außer Sie steigern sich mit diesen Ausbrüchen in einen Herzinfarkt hinein.«
Ich lasse mich wieder aufs Sofa sinken. »Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Wie kann ich >untot< sein, aber ein schlagendes Herz haben?«
»Dafür gibt es eine lange und sehr trockene wissenschaftliche Erklärung«, sagt Avery seufzend. »Es hat mit einem Effekt zu tun, den man als >etherischen Revenanten< bezeichnet die Art, wie ein toter menschlicher Körper stabilisiert wird. Ich kann Ihnen ein Buch von John Michael Greer empfehlen, wenn Sie genauere fachliche Informationen möchten, obwohl er seinem Buch leider den unglücklich gewählten Titel Monster gegeben hat.«
Unglücklich gewählt?
Er winkt ab. »Für Sie ist jetzt wichtig zu wissen, dass Sie sich um Ihren Körper genau so kümmern müssen, wie Sie es immer getan haben. Sie bewegen ihn, halten ihn fit, ernähren ihn. Nur die Art der Ernährung wird sich verändern.«
Jetzt kommt es. »Sie meinen, ich muss Blut trinken.« »Sie brauchen frische ätherische Energie, so ist es.« »Ich glaube nicht, dass ich das akzeptieren kann. Ich will mich nicht in ein Etwas wie Donaldson verwandeln. Sie können mir ebenso gut gleich einen Pflock durch die Brust schlagen oder mich auf dem Scheiterhaufen verbrennen.« War das alles? Ich kann mich nicht erinnern, je von weiteren Möglichkeiten gelesen zu haben, wie man Vampire tötet, außer Sonnenlicht. Ich starre Avery an, einen sehr braungebrannten Avery, der vorhin in der prallen Sonne an meinem Gartentor gestanden und offenbar keinerlei Schaden genommen hat.
»Anpassung«, sagt er. »Was?«
»Es hat Hunderte von Jahren gedauert, aber wir haben uns an das Sonnenlicht adaptiert. Wir können uns heute ganz normal bei Tageslicht draußen bewegen wie jeder andere auch.«
Du lieber Gott. Ich habe so viel Anne Rice gelesen und dachte immer, das wäre alles Fiktion.
Avery hebt die Hand. »Sie haben fiktive Geschichten gelesen«, sagt er. »Zum Großteil. Ein Pflock durchs Herz oder Verbrennung sind Möglichkeiten, uns zu töten. Dann
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