Anna Strong Chronicles 01 - Verführung der Nacht
mit Stoff bedeckt. Jetzt jedoch, in dieser Aufmachung, bietet sich mir ein Blick auf muskulöse Arme, kräftige Schultern und lange, starke Beine, alles braun gebrannt.
Ich brauche einen Moment, um meinen Blick von dieser unerwartet sportlichen Figur loszureißen und ihm wieder ins Gesicht zu sehen. Er trägt eine schwarze Ray-Ban-Sonnenbrille, die seine Augen verbirgt, doch sein Mund lässt ungenierte Belustigung erkennen, während er zusieht, wie ich ihn anstarre.
Ich setze eine betont neutrale Miene auf, als ich ihm wieder ins Gesicht schaue. »Wollten Sie die OP-Klamotten holen?«, frage ich. »Ich hätte sie schon zurückgebracht. Sie hätten nicht extra herkommen müssen.«
»Nein, ich bin nicht wegen der Sachen hier.« Er grinst ein wenig breiter und lässt einen Schlüsselbund mit einem Autoschlüssel vor meiner Nase klimpern.
Der Schlüsselbund kommt mir sehr bekannt vor. »Sind das meine?«
»Ja. Ich dachte, Sie hätten vielleicht gern Ihr Auto wieder. Ich habe dafür gesorgt, dass Sie es zurückbekommen.« Eine kurze Pause. »Ich habe mir auch die Freiheit genommen, es gründlich reinigen zu lassen. Es war, nun ja, in einem ziemlichen Zustand, innen, meine ich.« Ich nehme die Schlüssel aus seiner ausgestreckten Hand und sehe ihn mit hochgezogenen Brauen an. »Wie haben Sie es geschafft, an mein Auto zu kommen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Polizei es Ihnen einfach so überlassen würde.«
Er zuckt mit den Schultern. »Ich habe Freunde, ganz oben.« Er blickt über meine Schulter. »Wo wir gerade von Freunden sprechen, wo ist eigentlich Ihr Michael? Ich dachte, er sollte Sie nach Hause bringen.«
Ich zögere. Welche Ausrede kann ich dafür vorbringen, dass ich allein bin? Doch er gibt mir keine Gelegenheit, mir irgendetwas auszudenken. Er kommt direkt zur Sache und zwinkert mir verschwörerisch zu. »Ich hatte mir schon gedacht, dass Sie ihn nicht angerufen haben.«
Seine Selbstgefälligkeit geht mir auf die Nerven. »Ach ja? Woher wollen Sie das wissen? Er könnte doch gerade da drin sein und uns Abendessen machen.« Diese fedrig feinen Lachfältchen, die mir schon im Krankenhaus aufgefallen sind, breiten sich unter der Sonnenbrille aus. »Und, ist er da?«
Ah, nein. Aber das werde ich Dr. Avery nicht sagen. Und woher zum Teufel weiß er eigentlich, dass ich Michael nicht angerufen habe? »Dachte ich’s mir doch«, erwidert er. »Sie haben sich ein Taxi rufen lassen, das Sie abholen sollte. Damit haben Sie sich wohl verraten.«
Mir bleibt kurz der Mund offen stehen. Habe ich das laut gesagt? »Nein«, antwortet er.
Das reicht. Jetzt wird er mir unheimlich. »Also schön.« Ich lasse meine Stimme knallhart klingen. »Können Sie Gedanken lesen? Ist das irgendein Trick?«
Er legt eine Hand an meinen Ellbogen und führt mich zum Gartentor. »Bitten Sie mich doch herein«, sagt er. »Dann werde ich alle Ihre Fragen beantworten.« Ich weiche zurück.
»Nein danke.« Ich lade keine fremden Männer in mein Haus ein, und dieser Mann ist nicht nur fremd, sondern obendrein merkwürdig. Ich will nicht mit ihm allein sein, Arzt hin oder her.
Dr. Avery setzt seine Sonnenbrille ab. Sein Blick hält mich gefangen. »Ich werde Ihnen nichts tun, Anna«, sagt er leise. »Im Gegenteil, ich kann Ihnen helfen. Sie haben viele Fragen über das, was mit Donaldson geschehen ist. Ich habe die Antworten.«
Seine Stimme, samtig, aber fest und beharrlich, lässt eine angenehme Ruhe durch meinen Körper strömen. Ich weiß mit absoluter Sicherheit, dass er mir nichts tun wird. Ohne zu zögern, gehe ich voran zu Tür, schließe auf und halte sie ihm auf, damit er vor mir eintritt. »Willkommen in meinem Haus.«
Als Dr. Avery auf dem Sofa Platz nimmt, grinst er zu mir hoch und sagt wieder: »Ihr Haus gefällt mir wirklich sehr. Es ist phantastisch.«
Aber ich will mich nicht ablenken lassen. Nun, da wir drin sind, fällt diese unerschütterliche Sicherheit, die ich gerade noch gefühlt habe, von mir ab. Ich setze mich auf die Sesselkante ihm gegenüber. »Also, was können Sie mir über Donaldson sagen?« Sobald die Frage ausgesprochen ist, hallt eine primitive Warnung durch meinen Verstand. Was könnte er schon über Donaldson wissen? Außer, er hat neue Testergebnisse bekommen, und
»Nein, nein, es ist nichts Medizinisches.« Er hat es schon wieder getan. Ich springe vom Sessel und baue mich vor ihm auf, kochend vor Wut. »Okay, das reicht. Wie machen Sie das? Das ist nicht lustig, das ist nicht
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