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Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Titel: Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Neblin
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Panthers, der mit der Erinnerung warmen Blutes auf der Zunge den richtigen Augenblick abpaßt, um sich mit tödlicher Eleganz auf seine arglose Beute zu stürzen und ihr in triumphaler Ekstase die Kehle aufzureißen. Hellwache, energiegeladene Spannung. Allerdings war ich zu jener Zeit ein anderer und auch die Schlacht, die mir bevorstand, war eine ganz andere.
    Als der Nachrichtensprecher von Station 4 mich aus der Dämmerung riss, hatte ich einen langen Tag im Büro und eine kurze und unruhige Nacht hinter mir:
    „Guten Morgen Boston! Willkommen bei den Morning News. Es ist sechs Uhr dreißig. Mein Name ist Phil Punxsutauney.“
    Phils Munterkeit widerte mich ebenso an wie der bittere Geschmack in meinem Mund. Ich schlug die Augen auf, blinzelte und verfluchte die Notwendigkeit aufzustehen. Es war Montagmorgen.
    Nach einer unerträglich kurzen Weile erhob ich mich aus meinem breiten, mit hellgrauer Satin Bettwäsche und einer Armada weicher Kissen ausgestatteten Bett. Meine verspannten Muskeln schmerzten.
    Ich streckte mich, betätigte einen Schalter, trat an die großen Fenster, die die vom Bett aus gesehen rechte Wand meines Schlafzimmers bildeten, und wartete, bis die Elektronik die Vorhänge beiseitegeschoben hatte.
    Unter mir erstreckte sich der Boston Common, ein etwa fünfhundert mal achthundert Meter großer, trapezförmiger Park im Südosten der Innenstadt – weit kleiner als der Central Park in New York – ein belangloses Potpourri von faden Grüntönen vor einer grandiosen Kulisse von rotem Backstein, weißen Säulen und strahlendem Gold.
    Die Morgensonne blickte missmutig aus einem diesigen Himmel auf den Park hinab. Die ersten Jogger waren bereits unterwegs und Leute führten ihre Hunde aus – oder die Hunde von Leuten, die es sich leisten konnten, sich von diesem zweifelhaften Vergnügen freizukaufen.
      „…das Quecksilber klettert heute auf 102 °F“, verkündete uns Phil, „und es wird schwül, Freunde.“
    Wie ungewöhnlich, Phil.
    Wir hatten Mitte Juli. Die letzten Wochen waren brütend heiß gewesen und die Luftfeuchtigkeit war kaum auszuhalten. Selbst nachts sank die Temperatur kaum unter 25 °C.
    Ich würde zum Glück auch heute nicht viel davon mitbekommen. In meinem Schlafzimmer bestimmte ich das Wetter. Die Temperatur war mit 16,5 Grad angenehm unterkühlt. Auch die meiste übrige Zeit des Tages würde ich in klimatisierten Räumen zubringen. Also konnten mir die Widrigkeiten der Natur getrost gleichgültig sein.
    Nachdem ich einen Espresso aus frisch gemahlenen Bohnen hinunter gestürzt und mir Trainingskleidung übergestreift hatte, machte ich mich auf den Weg zum Fahrstuhl. Sechs Etagen unter meinem Apartment befand sich der hauseigene Sparta Sports Club.
    „Guten Morgen Mr. Meyers. Kann ich etwas für Sie tun, Sir?“
    John, mein Personal Coach, ein hünenhafter Mann mit kurz geschorenem Haar, muskelbepackt, solariumgebräunt und gut gelaunt wie immer, kam auf mich zu, als ich eintrat.
      „Hallo John“, gab ich freundlich, aber bestimmt zurück, „bitte sorgen Sie dafür, dass ich nicht gestört werde.“
    Irgendwie mochte ich John. Er war ein Kämpfer, ein ehemaliger Marine Corps-Sergeant, der spannende Geschichten über seine Zeit in Übersee zu erzählen hatte. Zumindest war er mir nicht zuwider. Aber heute Morgen wollte ich allein sein.
    Ich schwang ich mich auf ein Laufband mit Blick auf den ein Stockwerk tiefer liegenden, in weißen Marmor gebetteten Swimming Pool. Die hohen Fenster der Schwimmhalle blickten ebenfalls über die Tremont Street auf den Park.
    Obwohl ich nur die Straße zu überqueren brauchte, um dorthin zu gelangen, gab ich grundsätzlich dem Laufband den Vorzug. An Tagen wie diesen wegen des immer gleichen, angenehmen Klimas, ganz allgemein aus Bequemlichkeit und wegen des Fernsehers über mir, der mir die neuesten Wirtschaftsnachrichten einschließlich der Kurse an den europäischen Börsen zeigte.
    An Annehmlichkeiten mangelte es mir wahrlich nicht im Highstone Boston Common, so lautete der Name des Apartment Komplexes. Für eine beachtliche Monatsmiete verfügte ich über eine 115 qm große Eckwohnung auf der nordwestlichen Seite des elften Stocks, 24-Stunden-Concierge-Service mit Reinigungs-, Wäsche- und Einkaufsdienst, eine Club Suite mit Large-Screen-TV, die ich angesichts meines eigenen Großbildfernsehers ebenso wenig nutzte wie die Gaming Lounge, ferner über eine Designer-Bar, ein elegantes Restaurant, einen Tiefgaragenplatz und die

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