Anne - 03 - Anne - 03 - Anne, der beste Lebenskamerad
schlief ein, mit dem Kopf an ihres Mannes Schulter.
Am nächsten Tag waren sie weitergereist, nach München und über die Grenze nach Salzburg, ins österreichische.
Durch einen Freund von Onkel Herluf - Onkel Herluf würde wohl bei Anne kaum je anders heißen, es war für sie unvorstellbar, ihn „Schwiegervater“ zu nennen - hatten sie eine Adresse bekommen, an die sie schreiben sollten. Sie konnten vielleicht in dem betreffenden Haus ein Zimmer mieten. Oh, sie hatten eine nette Antwort bekommen: gewiß konnten sie ein Zimmer mit Klavier bei der Familie Eichlberger haben, mit dem Autobus eine Stunde von Salzburg entfernt. Hier konnte Jess so viel Ruhe zum Arbeiten haben, wie er brauchte, und der Weg nach Salzburg hinein war nicht schlimm - sie konnten hineinfahren, sooft es sie gelüstete.
Vorläufig verlebten sie nur ihre Ferien und Flitterwochen. Erst im August sollte Jess ernstlich mit den Studien beginnen.
In Salzburg war so unglaublich viel Schönes zu sehen! Sie waren in der ganzen Burg - der Hohensalzburg - herumgeklettert, in der Folterkammer hatte Anne Anwandlungen von Übelkeit und eine Gänsehaut bekommen und war hinterher über die Aussicht vom Turm in Jubelrufe ausgebrochen. Sie hatten auf der Terrasse zu Mittag gegessen und sich an den Berggipfeln rings umher nicht sattsehen können.
„Weißt du“, sagte Jess, „sicher haben alle Menschen auf der Landkarte einen bestimmten Punkt, in den sie sich aus irgendeinem Grunde verliebt haben - manche müssen, ehe sie sterben, die Blaue Grotte auf Capri gesehen haben, andere möchten vielleicht die Mitternachtssonne erleben, wieder andere den Tower, und manche haben keinen Frieden in ihrer Seele, bevor sie nicht die Freiheitsstatue und das Empire State Building mit eigenen Augen geschaut haben. Für mich hieß die Zauberformel immer ,Salzkammergut’ - von kleinauf an. Frag mich nicht, wieso - ich weiß es selber nicht. Aber ich habe immer gewußt, daß ich einmal in meinem Leben Salzburg und das Salzkammergut erleben müßte. Und jetzt...“
Er schwieg, aber seine Augen redeten um so lebhafter weiter und suchten Annes Blick.
Er brauchte nicht mehr zu sagen. Denn Anne las seine Gedanken, Wort für Wort:
Und nun erlebe ich, daß dieser Traum meines Lebens erfüllt wird, und ich erlebe ihn zusammen mit der Frau, die ich liebe.
Sie waren den langen, gewundenen, abschüssigen Weg zum Kapuzinerkloster hinabgestiegen, sie hatten abends in der Konditorei Winkler unter einem gestreiften Sonnenschirm gesessen und über die Stadt mit all ihren Lichtern geblickt, mit den schönen alten Häusern und der Salzach, die im Mondschein einem stählernen Bande glich und die Stadt in zwei Hälften teilte. Sie hatten eine Pferdedroschke gemietet und waren die Kreuz und die Quer durch die Stadt gefahren, sie waren im Dom und einigen andern Kirchen gewesen, und sie hatten in alten, lustigen Restaurants gegessen, mit weißgetünchten Mauern und schwarzbraunen hölzernen Tischen und Hockern.
Für Anne war das alles ein großes Erlebnis, alles war ein lebendig gewordenes Märchen.
Aber in dem friedlichen kleinen Dorf, in das sie dann kamen, herrschte eine von Sonne gesättigte Stille, hier breiteten sich grüne Weiden aus, mit gepflegtem Vieh, hier fuhren niedrige Karren mit großen Rädern, mit Ochsen bespannt.
Vor den Häusern standen kleine „Hauskapellchen“ mit Madonnenbildern in leuchtenden Farben, mit Lichtern und Blumen und Engeln und dem Jesuskind, aus Glanzpapier geschnitten. An den Straßenkreuzungen und den Brückchen standen Kruzifixe oder Madonnenbilder, die „Marterln“, vor denen die Bauern das Zeichen des Kreuzes machten und den grünen Filzhut zogen. Die Mädchen und die jungen Frauen aber beugten die Knie und schlugen über Stirn und Brust das Kreuz.
Anne und Jess wohnten in einem hellrosa getünchten Häuschen mit grünen Läden und überquellenden Blumenkästen vor allen Fenstern. In ihrem Zimmer standen die Fenster Tag und Nacht offen. Tonleitern und Etüden erschollen über die stille kleine Dorfstraße. Wenn Jess seine großen Stücke übte - Sonaten und die Solopartien der Klavierkonzerte -, dann blieben die Leute stehen und lauschten und nickten.
„Der kann was“, sagten sie zueinander, und dann lächelten sie und gingen weiter, ihren Pflichten und ihrem Werktag nach, während sie unwillkürlich ein paar Takte vor sich hinpfiffen von dem, was sie eben gehört hatten. So wie ihre Vorfahren durch Generationen vor sich hingepfiffen hatten,
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