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Anne auf Green Gables

Anne auf Green Gables

Titel: Anne auf Green Gables Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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ausgegangen, dann würde er doch nicht in vollstem Sonntagsstaat losfahren, um neuen zu holen, und für den Doktor fuhr er wiederum nicht schnell genug. Irgendetwas muss passiert sein - jawohl! Und ich habe keine Minute Ruhe, bevor ich nicht weiß, was dieser Mann im Schilde führt.«
    Und so verließ Mrs Rachel nach dem Tee das Haus. Sie hatte es nicht weit, denn das große, von weitläufigen Obstgärten umgebene Haus der Geschwister Cuthbert lag nur eine knappe Viertelmeile von Lynde's Hollow entfernt. Ein tiefer, von wilden Rosen umsäumter Hohlweg führte dorthin. Green Gables lag ein ganzes Stück abseits der Hauptstraße, an die sich die anderen Häuser von Avonlea reihten. Matthews Vater, der nicht weniger scheu gewesen war als sein Sohn, hatte diesen abgeschiedenen Ort gewählt, als er das Haus erbaute. »Kein Wunder, dass Marilla und Matthew so eigen sind. Hier sind sie ja von jeder Menschenseele abgeschnitten. Na ja, wer weiß, ob sie wirklich anders wären, wenn sie mehr Gesellschaft hätten. Mir ist es ja lieber, andere Leute um mich zu haben, aber vielleicht sind sie auch ganz zufrieden und haben sich an die Einsamkeit gewöhnt. Man kann sich bekanntlich an alles gewöhnen - selbst an eine Schlinge um den Hals, wie die Iren sagen.«
    Mit diesen Worten verließ Mrs Rachel den Hohlweg und betrat den Hof von Green Gables. Von den majestätischen Weiden auf der einen bis zu den schlanken Pappeln auf der anderen Seite herrschte hier musterhafte Ordnung. Kein Unkrautpflänzchen, kein noch so kleines Strohhälmchen oder Steinchen war zu sehen. Das wäre Mrs Rachels scharfen Augen natürlich nicht entgangen; sie hatte sogar den Verdacht, dass Marilla Cuthbert diesen Hof genauso oft fegte wie ihre Wohnstube. Hier hätte man wirklich vom Boden essen können.
    Mrs Rachel klopfte an die Küchentür und trat auf Marillas Ruf hin ein. Die Küche war ein sehr freundlicher Raum - oder sie hätte es zumindest sein können, wenn sie nicht so fürchterlich sauber gewesen wäre. Warmes Sonnenlicht strömte durch das Westfenster, während das Ostfenster von wildem Wein beschattet wurde, der an der Hauswand emporkletterte. Hier im Schatten saß Marilla am liebsten - das heißt, wenn sie sich überhaupt einmal einen Moment lang Ruhe gönnte und sich hinsetzte. Gegen den Sonnenschein hegte sie nämlich ein gewisses Misstrauen; die Sonnenstrahlen kamen ihr so leichtfertig und munter vor, während man die Welt doch gar nicht ernst genug nehmen konnte. Und so saß sie auch jetzt wieder im Schatten und strickte. Hinter ihr war der Abendbrottisch gedeckt.
    Noch bevor sie die Tür hinter sich schloss, hatte Mrs Rachel mit ihren scharfen Augen bereits alle Einzelheiten erfasst. Marilla hatte drei Teller gedeckt - also würde Matthew einen Gast mit nach Hause bringen; doch sie hatte das Alltagsgeschirr genommen und ganz gewöhnliches Apfelkompott und nur eine Sorte Kuchen bereitgestellt - folglich konnte es sich um keinen hoch gestellten Besuch handeln. Wie sollte man sich dann aber Matthews weißen Kragen und den Einspänner erklären? Diese rätselhaften Vorgänge auf Green Gables machten Mrs Rachel ganz wirr im Kopf.
    »Guten Abend, Rachel«, begrüßte Marilla sie lebhaft. »Ein schöner Abend, nicht wahr? Willst du dich nicht setzen? Wie geht es deiner Familie?«
    Zwischen Marilla Cuthbert und Mrs Rachel bestand seit langem eine Art Freundschaft, obwohl — oder vielleicht sogar weil — sie so verschieden waren.
    Marilla war eine große, hagere Frau mit einer eckigen Figur; ihre Haare hatten bereits einige graue Strähnen und waren immer zu einem kleinen Nackenknoten gebunden, den sie mit zwei Drahtnadeln feststeckte. Sie machte einen strengen und etwas engstirnigen Eindruck, doch manchmal ließen ihre Gesichtszüge auch einen gewissen Sinn für Humor ahnen, der nur keine Gelegenheit bekommen hatte, sich zu entfalten.
    »Uns geht’s gut«, sagte Mrs Rachel, »aber ich habe schon befürchtet, bei euch sei etwas nicht in Ordnung. Ich habe nämlich Matthew vorhin bei uns vorbeifahren sehen. Will er gar den Doktor holen?«
    Ein kleines Lächeln umspielte Marillas Züge. Sie hatte schon mit Mrs Rachels Besuch gerechnet. Dass Matthew aus unerklärlichen Gründen weggefahren war, hatte ja unweigerlich die Neugierde ihrer Nachbarin anstacheln müssen.
    »Nein, nein, mir geht’s gut, obwohl ich gestern wieder fürchterliche Kopfschmerzen hatte«, antwortete sie. »Matthew ist zum Bahnhof nach Bright River hinüber gefahren. Wir bekommen

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