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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
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es Marius mit seinen Appellen an die Vernunft, mit seinem Optimismus, seiner Philosophie, der auf sie einsprach, sie zu beruhigen und abzulenken versuchte, und der sie in ihrem zerstörerischen Vorhaben hinhielt, bis ein alter Feind kam, um einen urzeitlichen Fluch zu erfüllen, indem er sie mit urzeitlicher Einfachheit erschlug.
    David, was hast du mit mir angestellt, als du mich drängtest, diesen Bericht zu schreiben?
    Du hast bewirkt, dass ich mich der vergeudeten Jahre schäme. Du hast mich zu der Erkenntnis gebracht, dass kein Dunkel je so tief sein kann, dass es mein persönliches Wissen um die Liebe auslöschen könnte, die Liebe der Sterblichen, die mich zeugten, die Liebe zu den Göttinnen aus Stein, die Liebe zu Marius.
    Vor allem kann ich das Wiederaufleben meiner Liebe zu Marius nicht leugnen.
    Und überall in der Welt um mich sehe ich Beweise für die Liebe. Hinter dem Bild der heiligen Jungfrau und dem Jesuskind, hinter dem Bild des gekreuzigten Christus und dem Basaltbildnis der Isis in meiner Erinnerung. Ich sehe die Liebe. Ich sehe sie in dem Bemühen der Menschen.
    Ich sehe, wie sie unleugbar alles durchdringt, was Menschen geschaffen haben in der Dichtkunst, Malerei und Musik, in ihrer Liebe zueinander und in ihrer Weigerung, Leiden als ihr Los zu akzeptieren.
    Vor allem aber sehe ich sie in der Gestaltung unserer Welt, die jede Kunst übertrifft und nicht durch reinen Zufall solche Schönheit in diesem Ausmaß hätte hervorbringen können.

    Liebe. Doch woher kommt diese Liebe? Warum hält sie ihren Ursprung geheim, diese Liebe, die den Regen und die Bäume macht und die Sterne über uns ausgestreut hat, wie es einst die Götter und Göttinnen von sich behaupteten?
    Also erweckte Lestat, dieser Flegel von einem Prinzen, die Königin; und wir überlebten ihre Vernichtung. Also war Lestat, dieser flegelhafte Prinz, durch Himmel und Hölle gegangen und hatte bei seiner Rückkehr Unglauben und Entsetzen und das Schweißtuch der Veronika mitgebracht! Veronika, ein erfundener christlicher Name, der einfach nur vera ikon oder »wahres Abbild« bedeutet.
    Lestat fand sich in Palästina wieder in den Jahren, in denen ich lebte, und sah dort etwas, das die Fähigkeiten der Menschen, die wir so besonders hegen, nämlich Glaube und Vernunft, erschütterte.
    Ich muss zu Lestat, ich muss in seine Augen sehen. Ich muss sehen, was er gesehen hat!
    Mögen doch die Jungen Lieder vom Tod anstimmen.
    Sie sind dumm.
    Das Edelste unter der Sonne und unter dem Mond ist die menschliche Seele. Ich staune über die kleinen Wunder, welche die Güte bei den Menschen bewirkt, ich staune über ihr stetig wachsendes Gewissen, über ihr beharrliches Festhalten an der Vernunft angesichts von Aberglauben und Verzweiflung. Ich staune über die menschliche Fähigkeit durchzuhalten.
    Ich muss dir noch eine Geschichte erzählen. Ich weiß nicht, warum ich sie hier festhalten will. Aber ich tue es.
    Vielleicht, weil ich das Gefühl habe, dass du – ein Vampir, der Geister sehen kann – sie verstehen wirst und vielleicht auch verstehst, warum ich so ungerührt dabei blieb.
    Im sechsten Jahrhundert – also fünfhundert Jahre nach Christi Geburt und dreihundert Jahre nachdem ich Marius verlassen hatte – zog ich durch das von Barbaren heim-gesuchte Italien. Die Ostgoten hatten die Halbinsel schon vor langer Zeit überrannt.
    Andere Stämme folgten mit Beutezügen und Brandstif-tung und dem Abtragen alter Tempel.
    Für mich war es dort, als ginge ich über glühende Kohlen.
    Doch Rom bemühte sich darum, ein neues Bild von sich und seinen Prinzipien zu schaffen, indem es versuchte, das Heidnische mit dem Christlichen zu verschmelzen, um auf diese Weise die barbarischen Übergriffe zu unterbinden.
    Den römischen Senat gab es noch. Er hatte als einzige Institution überlebt.
    Und ein Gelehrter, der den gleichen geistigen Hintergrund hatte wie ich, Boethius, ein sehr belesener Mann, der die alten Klassiker ebenso studiert hatte wie die Schriften der Heiligen, war gerade hingerichtet worden, aber nicht bevor er uns ein großartiges Buch geschenkt hatte. Noch heute kannst du es in jeder Bibliothek finden.
    Es ist natürlich Trost der Philosophie.
    Ich hatte das Bedürfnis, die Ruinen des Forums mit eigenen Augen zu sehen, die verbrannten, unfruchtbaren Hügel Roms, die Ziegen und Schweine, die herumstreun-ten, wo einst Cicero seine Reden an das Volk hielt. Ich musste das gottverlassene Bettelvolk sehen, das verzweifelt am Ufer des Tiber

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