BattleTech 26: Robert Thurston - Ich bin Jadefalke
PROLOG
Jahrelang war sich Joanna ihrer Träume kaum bewußt gewesen, gelegentlich hatte sie sich sogar gefragt, ob sie überhaupt träumte. Aber all das war vorüber. Seit dem Tag, an dem die Clans den Waffenstillstand mit der Inneren Sphäre geschlossen hatten, hatte sie sich an ihre Träume nicht nur erinnert, sie schienen sie bis in ihre wachen Stunden zu verfolgen, teilweise noch tagelang.
In einem Traum, der mit nur gelegentlichen Variationen immer wiederkehrte, schleppte Joanna sich durch das dichte Unterholz eines Waldes. Ihre Beine fühlten sich an wie die eines Mechs, aus Endostahl gemacht mit vielen zusätzlichen Schichten Ferrofibritpanzerung…
Während sie sich durch die Dornenbüsche kämpft, erinnert sie sich daran, in einem Wald wie diesem ausgebildet worden zu sein. Vor Jahren. Vor viel zu vielen Jahren.
Von ihrer Geschko getrennt, war sie damals vom leitenden Falkner verfolgt worden, einem starken, stämmigen Mann namens Barnak, der anderen gerne Schmerz zufügte. An jenem Tag war sie mit ihren hohen Stiefeln durch Unterholz wie dieses gestapft.
Als sie den Waldrand erreicht hatte, sprang Barnak sie an. Mit jener besonderen Eleganz, die kräftige Männer gelegentlich zustande bringen, stürzte er sich von einem dicken Ast, packte sie an der Kehle und stieß sie hart gegen den Stamm des Baumes, in dessen Krone er sich versteckt gehalten hatte.
Auf Falknerart knurrend und fluchend hatte er sie den schlechtesten Kadetten geschimpft, den auszubilden je seine miserable Pflicht gewesen sei. Sie würde versagen, erklärte er mit deutlichem Vergnügen. Sie würde versagen, noch bevor sie sich dafür qualifiziert hätte, in die Kanzel eines Mechs zu klettern. Sie würde in einem einfachen Test versagen oder emotional zusammenbrechen, wie es nur die allerschwächsten Jadefalken-Kadetten taten, diejenigen, die in die niedersten Clankasten abgestuft wurden, nachdem sie aus dem Kriegertraining ausgesiebt worden waren.
»Du hast keine Chance deinen Positionstest zu schaffen, du widerliche, miserable Kreatur. Du wirst es nicht einmal bis dahin schaffen, so widerlich bist du. Du bist so widerlich, du frißt den Dreck und die Käfer vom Waldboden und Vogelscheiße obendrein.«
Während er sie beschimpfte, rammte Barnak ihren Körper weiter gegen den harten, rauhen Baumstamm, der blutige Kratzer auf ihrem Rücken hinterließ. Ihr Freund – sie hatte einen Freund gehabt, damals, einen echten Freund. Wie hatte er geheißen? Was ist aus ihm geworden? Joanna kann sich sein Bild nicht mehr vergegenwärtigen, aber an jenem Abend hatte er ihre Wunden mit Kräutersalbe bestrichen.
»Gib auf, Widerling«, flüsterte Barnak heiser. »Du wirst versagen, Widerling! Du wirst so sicher versagen, wie Vögel in der Mauser ihre Federn verlieren.«
Wütend schaffte sie es, sich loszureißen und ihn zwei Schritte nach hinten zu drücken. Er stolperte, aber obwohl Joanna wußte, daß er es nur vortäuschte, um ihren Angriff herauszufordern, stürzte sie sich schreiend auf ihn. Ihre wirkungslosen Schläge prasselten auf sein Gesicht und seinen Körper, und gleichzeitig haßte sie sich dafür, ihn mit ihren Fäusten nicht verletzen, das ruhige Lächeln nicht aus seinem Gesicht wischen, seine verfluchte Arroganz nicht brechen zu können. Plötzlich sprang sie auf und biß ihn ins Gesicht, genoß den Geschmack seines Blutes auf der Zunge.
Barnak schrie auf vor Schmerz, ein Erlebnis, das zu genießen ihr wenig Zeit blieb, denn er verabreichte ihr anschließend eine der schlimmsten Trachten Prügel ihres Lebens.
Später, als sie im Gebüsch lag, Hunderte von kleinen Schnittwunden auf ihrem Rücken vor Schmerz pulsierten und ihr Körper von seinen Schlägen an tausend Stellen schmerzte, sah Joanna durch geschwollene Lider zu Barnak hoch und lächelte ihn arrogant an. Sie war glücklich, das Blut aus der Bißwunde knapp unter dem Wangenkochen rinnen zu sehen.
Am Ende der Ausbildung, nachdem sie als einzige ihrer Geschko den Abschlußtest bestanden hatte, war Barnak mit jenem Trotz konfrontiert worden, den er Joanna beigebracht hatte.
»Du wolltest mich sprechen, Nestling?«
»Gib zu, daß du unrecht hattest, Falkner Barnak.«
»Unrecht, womit?«
»Als du gesagt hast, ich würde es nicht schaffen.«
»Ja, das habe ich dir gesagt.«
»Und jetzt gib zu, daß du unrecht hattest. Oder stelle dich mir im Kreis der Gleichen.«
Er lachte. »Nein, ich werde jetzt nicht mit dir kämpfen. Was ich im Wald getan habe, habe ich zu deinem
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