Annebelle - sTdH 2
treten. Darum wollte sie so schön wie möglich sein. Doch als ein
Volkstanz dem anderen und Galopp auf Menuett folgte – in dieser ländlichen
Gegend tanzte man nämlich noch Menuett –, drückte es Annabelle schier das Herz
ab.
Pochender
Schmerz breitete sich hinter ihren Augen aus. Sie konnte das lärmende Springen
und Hüpfen kaum noch ertragen. Am liebsten wäre sie so schnell wie möglich nach
Hause geeilt, hätte ihren schmerzenden Kopf in den Kissen vergraben und sich
richtig ausgeweint.
Der
Marquis von
Brabington fühlte sich müde und krank. Er hatte die Angelegenheiten seines
Besitzes entschlossen und umsichtig geregelt. Nun saß er in der düsteren
Bibliothek von Brabington Court und fragte sich, was für eine Art von Mann sein
Vorgänger wohl gewesen sei.
Er hatte
den verstorbenen Marquis vor vielen Jahren einmal gesehen und erinnerte sich
nur nebelhaft an ihn. Er muß ein verflucht langweiliger Knochen gewesen sein,
dachte der Marquis, während er sich zwischen den schweren, dunklen Möbeln und
den vielen Buchreihen umsah, die nach Metern beim Buchhändler gekauft und nie
geöffnet worden waren.
Annabelles
hübsche Gestalt tanzte am Rande seiner Gedanken, doch er verbannte sie sofort
wieder. Er war jetzt wirklich der Frauenfeind, als den Lady Godolphin ihn
einmal bezeichnet hatte, und sehnte sich danach, wieder in den Krieg zu ziehen.
Er war seiner eigenen Gesellschaft überdrüssig und beschloß, auf der Stelle
nach London zurückzukehren.
Er wollte
nicht die Kutsche nehmen, sondern reiten. Hinter Hopeminster würde er seine
Reise unterbrechen und bei einem Freund übernachten. Hopeminster selbst wollte
er so rasch wie möglich durchqueren, dachte er grimmig, damit ihn nicht eine
unmännliche Schwäche verleitete, die Straße nach Hopeworth einzuschlagen.
Jeden Tag
hatte er die Post durchgesehen und auf einen Brief seiner Frau gehofft. Doch
der kam nicht. Überhaupt niemand schrieb. Nur von Lady Godolphin war ein Brief
eingetroffen; doch ihr Diener hatte einen harten Ritt durch einen Wolkenbruch
hinter sich, und als er den Brief hervorholte, war nichts als ein nasses Bündel
Pergament davon übrig; die Tinte rann in Bächen herunter, die Schrift war
völlig ausgelöscht. Er nahm an, sie habe ihm geschrieben, um ihm ihre bevorstehende
Hochzeit anzukündigen.
Er ging zum
Fenster und zog den Vorhang beiseite. Ein kleiner, heller Mond stand hoch über
den Bäumen.
Es war erst
acht Uhr. Mit etwas Glück konnte er seinen Freund hinter Hopeminster gegen elf
Uhr erreichen. Er würde Wäsche zum Wechseln und seinen Abendanzug in die
Satteltaschen packen und so bald wie möglich aufbrechen.
Eine halbe
Stunde später ritt er die Auffahrt hinunter und ließ die große, dunkle
Steinmasse von Brabington Court hinter sich. Ein alter Türhüter – alle Diener
hier waren alt – tappte hinaus, um ihm das Tor zu öffnen.
Der Marquis
gab seinem Pferd die Sporen und ritt in vollem Galopp davon.
Doch selbst
die Anstrengung des Rittes konnte das Gesicht seiner Frau nicht aus seinen
Gedanken vertreiben. Es schien immer deutlicher zu werden, je mehr Meilen die
klappernden Hufe seines Pferdes zurücklegten.
Als er die
Außenbezirke von Hopeminster erreichte und das weiße Band der Straße nach
Hopeworth sah, das sich rechts von ihm erstreckte, hielt er unwillkürlich sein
Pferd an und saß ganz still im hellen Mondlicht.
Sie war so
nahe, er konnte ihre Gegenwart spüren. Er erinnerte sich daran, wie sie ihn
angesehen hatte, als sie an seiner Brust lag, und fast hätte er laut gestöhnt.
»Sie will
eine Trennung«, murmelte er. »Sei vernünftig.«
Doch als er
sein Pferd nach Hopeminster lenkte, konnte er seine Trauer über den Verlust
nicht abschütteln.
Im
›Goldenen Hahn‹ schien eine Art Galaabend stattzufinden. Er hörte Musik
und lachende Stimmen. Der Hof stand voller Kutschen der verschiedensten Art.
Er
beschloß, anzuhalten und an der Theke etwas zu trinken. Er warf dem
Pferdeknecht eine Münze zu und schwang sich aus dem Sattel.
Mr. Boyse,
der Wirt, ging gerade durch die kleine Vorhalle des Gasthauses, als der Marquis
eintrat.
»Oh,
Mylord«, strahlte er und half dem Marquis aus dem Mantel. »Wir freuen uns
mächtig, Sie zu sehen. Wie geht es Lord Sylvester? Nun, Sie werden ein Zimmer
suchen, um sich für den Tanz umzukleiden. Sie haben Glück; einer der Herren
hat nämlich gesagt, er brauche es heute doch nicht, da wir Vollmond haben. Er
sagte, er wolle später nach Hause reiten. Wenn Sie also
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