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Ansichten eines Clowns

Ansichten eines Clowns

Titel: Ansichten eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Kalick
    gerade die Geschichte von dem Jungen erzählte, der mit zehn schon das Eiserne
    Kreuz erster Klasse bekommen hatte, irgendwo im fernen Schlesien, wo er mit
    Panzerfäusten drei russische Panzer erledigt hatte. Als einer der Jungen fragte, wie dieser Held geheißen habe, sagte ich: »Rübezahl«. Herbert Kalick wurde ganz gelb im Gesicht und schrie: »Du schmutziger Defätist«. Ich bückte mich und warf
    Herbert eine Handvoll Asche ins Gesicht. Sie fielen alle über mich her, nur Leo verhielt sich neutral, weinte, half mir aber nicht, und in meiner Angst schrie ich Herbert ins Gesicht: »Du Nazischwein.« Ich hatte das Wort irgendwo gelesen, an einem Bahnübergang auf die Schranke geschrieben. Ich wußte gar nicht genau, was es bedeutete, hatte aber das Gefühl, es könne hier angebracht sein. Herbert Kalick brach sofort die Schlägerei ab und wurde amtlich: er verhaftete mich, ich wurde im Schießstandschuppen zwischen Schießscheiben und Anzeigestöcken eingesperrt, bis Herbert meine Eltern, den Lehrer Brühl und einen Parteimenschen
    zusammengetrommelt hatte. Ich heulte vor Wut, zertrampelte die Schießscheiben
    und schrie den Jungen draußen, die mich bewachten, immer wieder zu: »Ihr
    Nazischweine«. Nach einer Stunde wurde ich in unser Wohnzimmer zum Verhör
    geschleppt. Der Lehrer Brühl war kaum zu halten.

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    Er sagte immer wieder: »Mit Stumpf und Stiel ausrotten, ausrotten mit Stumpf und Stiel«, und ich weiß bis heute nicht genau, ob er das körperlich oder sozusagen geistig meinte. Ich werde ihm demnächst an die Adresse der Pädagogischen Hochschule
    schreiben und ihn um der historischen Wahrheit willen um Aufklärung bitten. Der Parteimensch, der stellvertretende Ortsgruppenleiter Lövenich, war ganz vernünftig.
    Er sagte immer: »Bedenken Sie doch, der Junge ist noch keine elf«, und weil er fast beruhigend auf mich wirkte, beantwortete ich sogar seine Frage, woher ich das
    ominöse Wort kenne: »Ich habe es gelesen, auf der Bahnschranke an der
    Annabergerstraße.« »Es hat Dir nicht jemand gesagt«, fragte er, »ich meine, du hast es nicht gehört, mündlich?« »Nein«, sagte ich. »Der Junge weiß ja gar nicht, was er sagt«, sagte mein Vater und legte mir die Hand auf die Schulter. Brühl warf meinem Vater einen bösen Blick zu, blickte dann ängstlich zu Herbert Kalick. Offenbar galt Vaters Geste als gar zu arge Sympathiekundgebung. Meine Mutter sagte weinend
    mit ihrer sanften, dummen Stimme: »Er weiß ja nicht, was er tut, er weiß es nicht -
    ich müßte ja sonst meine Hand von ihm zurückziehen.« - »Zieh sie nur zurück«,
    sagte ich. Alles das spielte sich in unserem Riesenwohnzimmer ab mit den
    pompösen, dunkel gebeizten Eichenmöbeln, mit Großvaters Jagdtrophäen oben auf
    dem breiten Eichenbord, Humpen, und den schweren, bleiverglasten
    Bücherschränken. Ich hörte die Artillerie oben in der Eifel, kaum zwanzig Kilometer entfernt, manchmal sogar ein Maschinengewehr. Herbert Kalick, blaß, blond, mit seinem fanatischen Gesicht, als eine Art Staatsanwalt fungierend, schlug dauernd mit den Knöcheln auf die Anrichte und forderte: »Härte, Härte, unnachgiebige Härte.«
    Ich wurde dazu verurteilt, unter Herberts Aufsicht im Garten einen Panzergraben auszuwerfen, und noch am Nachmittag wühlte ich, der Schnierschen Tradition
    folgend, die deutsche Erde auf, wenn auch — was der Schnierschen Tradition wi-
    dersprach - eigenhändig. Ich grub den Graben quer durch
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    Großvaters Lieblingsrosenbeet, genau auf die Kopie des Apoll von Belvedere zu, und ich freute mich schon auf den Augenblick, wo die Marmorstatue meinem
    Wühleifer erliegen würde; ich freute mich zu früh; sie wurde von einem kleinen sommersprossigen Jungen erlegt, der Georg hieß. Er sprengte sich selbst und den Apoll in die Luft durch eine Panzerfaust, die er irrtümlich zur Explosion brachte.
    Herbert Kalicks Kommentar zu diesem Unfall war lakonisch. »Zum Glück war
    Georg ja ein Waisenkind.«
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    Ich suchte im Telefonbuch die Nummern aller Leute zusammen, mit denen ich würde sprechen müssen; links schrieb ich untereinander die Namen derer, die ich anpumpen konnte : Karl Emonds, Heinrich Behlen, beides Schulkameraden, der eine ehemals Theologiestudent, jetzt Studienrat, der andere Kaplan, dann Bela Brosen, die Geliebte meines Vaters -rechts untereinander die übrigen, die ich nur im äußersten Fall um Geld bitten würde: meine Eltern, Leo (den ich um Geld bitten konnte, aber er hat nie welches, er

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