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Ansichten eines Clowns

Ansichten eines Clowns

Titel: Ansichten eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Schminke auf, quetschte heraus, was noch drin war, und schminkte mich vollkommen weiß: kein Strich
    schwarz, kein Tupfer rot, alles weiß, auch die Brauen überschminkt; mein Haar sah darüber wie eine Perücke aus, mein ungeschminkter Mund dunkel, fast blau, die
    Augen, hellblau wie ein steinerner Himmel, so leer wie die eines Kardinals, der sich nicht eingesteht, daß er den Glauben längst verloren hat. Ich hatte nicht einmal Angst vor mir. Mit diesem Gesicht konnte ich Karriere machen, konnte sogar an der Sache Heuchelei begehen, die mir in all ihrer Hilflosigkeit, in ihrer Dummheit, die relativ sympathischste war: die Sache, an die Edgar Wieneken
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    glaubte. Diese Sache würde wenigstens nicht schmecken, sie war in ihrer
    Geschmacklosigkeit die ehrlichste unter den unehrlichen, das kleinste der kleineren Übel. Es gab also außer Schwarz, Dunkelbraun und Blau noch eine Alternative, die Rot zu nennen, wieder zu euphemistisch und zu optimistisch wäre, es war Grau mit einem sanften Schimmer von Morgenrot drin. Eine traurige Farbe für eine traurige Sache, in der vielleicht sogar Platz für einen Clown war, der sich der schlimmsten aller Clownssünden schuldig gemacht hatte: Mitleid zu erregen. Das Schlimme war nur: Edgar konnte ich am allerwenigsten betrügen, ihm am wenigsten etwas vorheucheln.
    Ich war der einzige Zeuge dafür, daß er die hundert Meter wirklich in 10,1 gelaufen war, und er war einer der wenigen, die mich immer so genommen hatten, wie ich war, denen ich immer so erschienen war, wie ich war. Und er hatte keinen Glauben als den an bestimmte Menschen - die anderen glaubten ja an mehr als an die Menschen: an Gott, an abstraktes Geld, an etwas wie Staat und Deutschland. Edgar nicht. Es war schon schlimm genug für ihn gewesen, als ich damals das Taxi nahm. Es tat mir jetzt leid, ich hätte es ihm erklären müssen, niemand sonst war ich irgendwelche
    Erklärungen schuldig. Ich ging vom Spiegel weg; es gefiel mir zu gut, was ich dort sah, ich dachte keinen Augenblick daran, daß ich selbst es war, den ich sah. Das war kein Clown mehr, ein Toter, der einen Toten spielte.
    Ich humpelte in unser Schlafzimmer hinüber, das ich noch nicht betreten hatte, aus Angst vor Maries Kleidern. Die meisten Kleider habe ich selbst ihr gekauft, sogar die Änderungen mit den Schneiderinnen besprochen. Sie kann fast alle Farben tragen außer Rot und Schwarz, sie kann sogar Grau tragen, ohne langweilig auszusehen, Rosa steht ihr sehr gut und Grün. Ich könnte in der Branche Damenmode wahrscheinlich Geld verdienen, aber für einen, der monogam und nicht schwul ist, wäre das eine zu fürchterliche Tortur. Die meisten Männer geben ihren Frauen einfach Verrechnungsschecks und empfehlen ihnen, sich dem »Diktat der
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    Mode« zu beugen. Wenn dann Violett modern ist, tragen alle diese Frauen, die mit Verrechnungsschecks gefüttert werden, Violett, und wenn dann auf einer Party
    sämtliche Frauen, die »etwas auf sich halten«, in Violett herumlaufen, sieht das ganze aus wie eine Generalversammlung mühsam zum Leben erweckter weiblicher
    Bischöfe. Es gibt nur wenige Frauen, denen Violett steht. Marie konnte gut Violett tragen. Als ich noch zu Hause war, kam plötzlich die Sackmode auf, und alle armen Hühner, denen ihre Männer befehlen, sich »repräsentativ« zu kleiden, rannten auf unserem jour fixe in Säcken umher. Ein paar Frauen taten mir so leid - besonders die große, schwere Frau irgendeines der zahllosen Präsidenten -, daß ich am liebsten zu ihr gegangen wäre und irgend etwas - eine Tischdecke oder einen Vorhang - als
    Mantel der Barmherzigkeit um sie gelegt hätte. Ihr Mann, dieser stupide Hund,
    merkte nichts, sah nichts, hörte nichts, er hätte seine Frau in einem rosa Nachthemd auf den Markt geschickt, wenn irgendein Schwuler das als Mode diktiert hätte. Am nächsten Tag hielt er vor hundertfünfzig evangelischen Pastoren einen Vortrag über das Wort »Erkennen« in der Ehe. Wahrscheinlich wußte er nicht einmal, daß seine Frau viel zu eckige Knie hat, als daß sie kurze Kleider tragen könnte.
    Ich riß die Tür des Kleiderschranks schnell auf, um dem Spiegel zu entgehen:
    nichts mehr von Marie im Schrank, nichts mehr, nicht einmal mehr ein
    Schuhspanner oder ein Gürtel, wie ihn Frauen manchmal hängen lassen. Kaum noch der Geruch ihres Parfüms, sie hätte barmherzig sein, auch meine Kleider
    mitnehmen, sie verschenken oder verbrennen können, aber meine Sachen hingen
    noch da: eine grüne

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