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Ansichten eines Clowns

Ansichten eines Clowns

Titel: Ansichten eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Brei oder Milch hineingestopft oder hineingeschüttet wird. Ich wollte nicht, daß meine Kinder zum Essen gezwungen würden, es hatte mich angeekelt, wenn ich zusah, wie Sabine Emonds ihre ersten beiden Kinder, besonders das älteste, das Karl seltsamerweise Edeltrud genannt hatte, stopfte. Über die leidige Eierfrage hatte ich mich sogar mit Marie gestritten, sie war gegen Eier, und als wir uns darüber stritten, sagte sie, das sei Reicheleutekost, war dann rot geworden, und ich hatte sie trösten müssen. Ich war daran gewöhnt, anders als andere behandelt und betrachtet zu werden, nur, weil ich von den
    Braunkohlenschniers abstamme, und Marie war es nur zweimal passiert, daß sie
    etwas Dummes darüber sagte: am ersten Tag, als ich zu ihr in die Küche runterkam, und als wir über Eier sprachen. Es ist scheußlich, reiche Eltern zu haben, besonders scheußlich natürlich, wenn man von dem Reichtum nie etwas gehabt hat. Eier hatte es bei uns zu Hause sehr selten gegeben, meine Mutter hielt Eier für »ausgesprochen schädlich«. Bei Edgar Wieneken war es im umgekehrten Sinn peinlich, er wurde
    überall als Arbeiterkind eingeführt und vorgestellt; es gab sogar Priester, die, wenn sie ihn vorstellten, sagten: »Ein waschechtes Arbeiterkind«, das klang so, als wenn sie gesagt hätten: Seht mal, der hat gar keine Hörner und sieht ganz intelligent aus.
    Es ist eine Rassenfrage, um die sich Mutters Zentralkomitee einmal kümmern sollte.
    Die einzigen Menschen, die in diesem Punkt unbefangen zu mir waren, waren
    Wienekens und Maries Vater. Sie kreideten es mir nicht an, daß ich von den
    Braunkohlenschniers abstamme, und flochten mir auch keinen Kranz daraus.
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    Ich ertappte mich dabei, daß ich noch immer auf dem Balkon stand und auf Bonn
    blickte. Ich hielt mich am Geländer fest, mein Knie schmerzte heftig, aber die Mark, die ich runtergeworfen hatte, beunruhigte mich. Ich hätte sie gern wiedergehabt, konnte aber jetzt nicht auf die Straße gehen, Leo mußte jeden Augenblick kommen.
    Irgendwann mußten sie ja mit ihren Pflaumen, der Schlagsahne und dem Tischgebet fertig sein. Ich konnte die Mark unten auf der Straße nicht entdecken: es war
    ziemlich tief, und nur in Märchen blinken Geldstücke so deutlich, daß man sie findet.
    Es war das erstemal, daß ich irgend etwas, was mit Geld zusammenhing, bereute: diese weggeworfene Mark, zwölf Zigaretten, zwei Straßenbahnfahrten, ein
    Würstchen mit Brot. Ohne Reue, aber mit einer gewissen Wehmut dachte ich an die vielen D-Zug-Zuschläge und Übergänge in die erste Klasse, die wir für
    niedersächsische Großmütter bezahlt hatten, wehmütig, wie einer an Küsse denkt, die er einem Mädchen gegeben hat, das einen anderen heiratete. Auf Leo war nicht viel Hoffnung zu setzen, er hat merkwürdige Vorstellungen von Geld, ungefähr wie eine Nonne von der »ehelichen Liebe«.
    Nichts blinkte unten auf der Straße, obwohl alles hellerleuchtet war, kein
    Sternthaler zu sehn; nur Autos, Straßenbahn, Bus und Bonner Bürger. Ich hoffte, daß die Mark auf dem Dach der Straßenbahn liegengeblieben war und irgendeiner im
    Depot sie finden würde.
    Natürlich konnte ich mich auch an den Busen der evangelischen Kirche schmeißen.
    Nur: als ich Busen dachte, fröstelte mich. An Luthers Brust hätte ich mich schmeißen können, aber »Busen der evangelischen Kirche« - nein. Wenn ich schon heuchelte, wollte ich mit Erfolg heucheln, möglichst viel Spaß dabei haben. Es würde mir Spaß machen, einen Katholiken zu heucheln, ich würde mich ein halbes Jahr ganz
    »zurückhalten«, dann anfangen, in Sommerwilds Abend-
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    predigten zu gehen, bis ich anfing, von Katholons zu wimmeln wie eine schwärende Wunde von Bazillen. Aber damit nahm ich mir eine letzte Chance, in Vaters Gunst zu gelangen und in einem Braunkohlenbüro Verrechnungsschecks zu unterschreiben.
    Vielleicht würde meine Mutter mich in ihrem Zentralkomitee unterbringen und mir Gelegenheit geben, dort meine Rassentheorien zu vertreten. Ich würde nach
    Amerika fahren und vor Frauenclubs als lebendes Beispiel der Reue der deutschen Jugend Vorträge halten. Nur, ich hatte nichts zu bereuen, gar nichts, und ich würde also Reue heucheln müssen. Ich konnte ihnen auch erzählen, wie ich Herbert Kalick die Asche vom Tennisplatz ins Gesicht geworfen hatte, wie ich im
    Schießstandschuppen eingesperrt gewesen war und später vor Gericht gestanden
    hatte: Vor Kalick, Brühl, Lövenich. Aber wenn ich es erzählte, wars

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