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Ansichten Eines Clowns

Ansichten Eines Clowns

Titel: Ansichten Eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Boll , Heinrich Böll
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putzte sich eifrig die Zähne. Ich selbst habe mich immer möglichst vor dem Waschen am Morgen gedrückt, und Zähneputzen ist mir immer noch ein Greuel. Ich ziehe die Badewanne vor, aber ich sah Marie immer gern dabei zu, sie war so sauber und alles so selbstverständlich, sogar die kleine Bewegung, mit der sie den Deckel auf die Zahnpastatube schraubte. Ich dachte auch an meinen Bruder Leo, der sehr fromm war, gewissenhaft und genau, und der immer wieder betonte, er
    »glaube« an mich. Er stand auch vor dem Abitur, und er schämte sich irgendwie, daß ers geschafft hatte, mit neunzehn, ganz normal, während ich mit einundzwanzig mich immer noch in der Untersekunda über die betrügerische Interpretation des Nibelungenlieds ärgerte. Leo kannte sogar Marie von irgendwelchen Arbeitsgemeinschaften her, wo katholische und evangelische Jugendliche über Demokratie und über konfessionelle Toleranz diskutierten. Wir beide, Leo und ich, betrachteten unsere Eltern nur noch als eine Art Heimleiterehepaar. Es war für Leo ein fürchterlicher Schock gewesen, als er erfuhr, daß Vater schon seit fast zehn Jahren eine Geliebte hat. Auch für mich war es ein Schock, aber kein moralischer, ich konnte mir schon vorstellen, daß es schlimm sein mußte, mit meiner Mutter verheiratet zu sein, deren trügerische Sanftmut eine I- und E- Sanftmut war. Sie sprach selten einen
    Satz, in dem ein A, O oder U vorge-
    kommen wäre, und es war typisch für sie, daß sie Leos Namen in Le abgekürzt hatte. Ihr Lieblingssatz war: »Wir sehen die Dinge eben verschieden« - der zweitliebste Satz war: »Im Prinzip habe ich recht, ich bin bereit, gewisse Dinge zu ventilieren.« Für mich war die Tatsache, daß Vater eine Geliebte hat, eher ein ästhetischer Schock: Es paßte gar nicht zu ihm. Er ist weder leidenschaftlich noch vital, und wenn ich nicht annehmen mußte, daß sie nur eine Art Krankenschwester oder Seelenbadefrau für ihn war (wobei wieder der pathetische Ausdruck Geliebte nicht zutrifft), so war das Unordentliche daran, daß es nicht zu Vater paßte. Tatsächlich war sie einfach eine liebe, hübsche, nicht wahnsinnig intelligente Sängerin, der er nicht einmal zusätzliche Engagements oder Konzerte verschaffte. Dazu war er wieder zu korrekt. Mir kam die Sache reichlich verworren vor, für Leo wars bitter. Er war in seinen Idealen getroffen, und meine Mutter wußte Leos Zustand nicht anders zu umschreiben als »Le ist in einer Krise«, und als er dann eine Klassenarbeit fünf schrieb, wollte sie Leo zu einem Psychologen schleppen. Es gelang mir, das zu verhindern, indem ich ihm zunächst einmal alles erzählte, was ich über diese Sache, die Mann und Frau miteinander tun, wußte, und ihm so intensiv bei den Schularbeiten half, daß er die nächsten Arbeiten wieder drei und zwei schrieb - und dann hielt meine Mutter den Psychologen nicht mehr für notwendig.
    Marie zog das dunkelgrüne Kleid an, und obwohl sie Schwierigkeiten mit dem Reißverschluß hatte, stand ich nicht auf, ihr zu helfen: es war so schön anzusehen, wie sie sich mit den Händen auf den Rücken griff, ihre weiße Haut, das dunkle Haar und das dunkelgrüne Kleid; ich war auch froh zu sehen, daß sie nicht nervös dabei wurde; sie kam schließlich ans Bett, und ich richtete mich auf und zog den Reißverschluß zu. Ich fragte sie, warum sie denn so schrecklich früh aufstehe, und sie sagte, ihr Vater schliefe erst gegen morgen richtig ein und würde bis neun im Bett bleiben, und sie
    müsse die Zeitungen unten reinnehmen und den Laden aufmachen,
    denn manchmal kämen die Schulkinder schon vor der Messe, um Hefte zu kaufen, Bleistifte, Bonbons, und »Außerdem«, sagte sie, »ist es besser, wenn du um halb acht aus dem Haus bist. Ich mache jetzt Kaffee, und in fünf Minuten kommst du leise in die Küche runter.« Ich kam mir fast verheiratet vor, als ich in die Küche runterkam, Marie mir Kaffee einschenkte und mir ein Brötchen zurechtmachte. Sie schüttelte den Kopf und sagte: »Nicht gewaschen, nicht gekämmt, kommst du immer so zum Frühstück?« und ich sagte ja, nicht einmal im Internat hätten sie es fertig gebracht, mich zum regelmäßigen Waschen am frühen Morgen zu erziehen.
    »Aber was machst du denn?« fragte sie, »irgendwie mußt du dich doch frisch machen?«
    »Ich reibe mich immer mit Kölnisch Wasser ab«, sagte ich.

    »Das ist ziemlich teuer«, sagte sie und wurde sofort rot.

    »Ja«, sagte ich, »aber ich bekomme es immer geschenkt, eine große

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