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Ansichten Eines Clowns

Ansichten Eines Clowns

Titel: Ansichten Eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Boll , Heinrich Böll
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glotzten herüber wie Fische, die plötzlich überrascht entdecken, daß sie den Angelhaken schon lange verschluckt haben.
    Ich ging weg, ohne mich umzusehen. Mir war kalt, ich schlug den Rockkragen hoch, steckte mir eine Zigarette an, machte einen kleinen Umweg über den Markt, ging die Franziskanerstraße runter und sprang an der Ecke Koblenzer Straße auf den fahrenden Bus, die Schaffnerin drückte mir die Tür auf, drohte mir mit dem Finger, als ich bei ihr stehen blieb, um zu bezahlen, und deutete kopfschüttelnd auf meine
    Zigarette. Ich knipste sie aus, schob den Rest in meine Rocktasche und ging zur Mitte
    meinem Gesicht schien den Mann, neben dem ich stand, wütend zu machen. Er senkte sogar die Zeitung, verzichtete auf sein »Strauß: mit voller Konsequenz!«, schob seine Brille vorne auf die Nase, sah mich kopfschüttelnd an und murmelte »Unglaublich.« Die Frau, die hinter ihm saß — ich war fast über einen Sack voll Möhren, den sie neben sich stehen hatte, gestolpert - nickte zu seinem Kommentar, schüttelte auch den Kopf und bewegte lautlos ihre Lippen.
    Ich hatte mich sogar ausnahmsweise vor Maries Spiegel mit ihrem Kamm gekämmt, trug meine graue, saubere, ganz normale Jacke, und mein Bartwuchs war nie so stark, daß ein Tag ohne Rasur mich zu einer »unglaublichen« Erscheinung hätte machen können. Ich bin weder zu groß, noch zu klein, und meine Nase ist nicht so lang, daß sie in meinem Paß unter besondere Merkmale eingetragen ist. Dort steht: keine. Ich war weder schmutzig noch betrunken, und doch regte die Frau mit dem Möhrensack sich auf, mehr als der Mann mit der Brille, der schließlich nach einem letzten verzweifelten Kopfschütteln seine Brille wieder hochschob und sich mit Straußens Konsequenzen beschäftigte. Die Frau fluchte lautlos vor sich hin, machte unruhige Kopfbewegungen, um den übrigen Fahrgästen mitzuteilen, was ihre Lippen nicht preisgaben. Ich weiß bis heute nicht, wie Juden aussehen, sonst könnte ich ermessen, ob sie mich für einen gehalten hat, ich glaube eher, daß es nicht an meinem Äußeren lag, eher an meinem Blick, wenn ich aus dem Bus auf die Straße blickte und an Marie dachte. Mich machte diese stumme Feindseligkeit nervös, ich stieg eine Station zu früh aus, und ich ging zu Fuß das Stück die Ebertallee hinunter, bevor ich zum Rhein hin abschwenkte.
    Die Stämme der Buchen in unserem Park waren schwarz, noch feucht, der Tennisplatz frischgewalzt, rot, vom Rhein her hörte ich das Hupen der Schleppkähne, und als ich in den Flur trat, hörte ich Anna in der Küche leise vor sich hinschimpfen.
    Ich verstand immer nur ». . . kein gutes Ende — gutes Ende - kein.« Ich rief in die
    »Für mich kein Frühstück, Anna«, ging rasch weiter und blieb im Wohnzimmer stehen. So dunkel war mir die Eichentäfelung, die Holzgalerie mit Humpen und Jagdtrophäen noch nie vorgekommen. Nebenan im Musikzimmer spielte Leo eine Mazurka von Chopin. Er hatte damals vor, Musik zu studieren, stand morgens um halb sechs auf, um vor Schulbeginn noch zu üben. Was er spielte, versetzte mich in eine spätere Tageszeit, und ich vergaß auch, daß Leo spielte. Leo und Chopin passen nicht zueinander, aber er spielte so gut, daß ich ihn vergaß. Von den älteren Komponisten sind mir Chopin und Schubert die liebsten. Ich weiß, daß unser Musiklehrer recht hatte, wenn er Mozart himmlisch, Beethoven großartig, Gluck einzigartig und Bach gewaltig nannte; ich weiß. Bach kommt mir immer vor wie eine dreißig-bändige Dogmatik, die mich in Erstaunen versetzt. Aber Schubert und Chopin sind so irdisch, wie ich es wohl bin. Ich höre sie am liebsten. Im Park, zum Rhein hin, sah ich vor den Trauerweiden die Schießscheiben in Großvaters Schieß- stand sich bewegen. Offenbar war Fuhrmann beauftragt, sie zu ölen. Mein Großvater trommelt manchmal ein paar »alte Knaben« zusammen, dann stehen fünfzehn Riesenautos im kleinen Rondell vor dem Haus, fünfzehn Chauffeure stehen fröstelnd zwischen den Hecken und Bäumen oder spielen gruppenweise auf den Steinbänken Skat, und wenn einer von den »alten Knaben« eine Zwölf geschossen hat, hört man bald drauf einen Sektpfropfen knallen. Manchmal hatte Großvater mich rufen lassen, und ich hatte den alten Knaben ein paar Faxen vorgemacht, Adenauer imitiert, oder Erhard - was auf eine deprimierende Weise einfach ist, oder ich hatte ihnen kleine Nummern vorgeführt: Manager im Speisewagen. Und wie boshaft ich es auch zu machen versucht hatte,

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