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Ansichten Eines Clowns

Ansichten Eines Clowns

Titel: Ansichten Eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Boll , Heinrich Böll
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antikapitalistisch einstufen konnten.
    Ich war tatsächlich einmal hingefahren und hatte mich mit irgendwelchen Kulturfritzen in Erfurt getroffen. Sie empfingen mich mit ziemlichem Pomp am Bahnhof, Riesenblumensträuße, und im Hotel gab es anschließend Forelle blau, Ka- viar, Halbgefrorenes und Unmengen von Sekt. Dann fragten sie uns, was wir denn von Erfurt sehen möchten. Ich sagte, ich würde gern die Stelle sehen, wo Luther seine Doktordisputation gehalten habe, und Marie sagte, sie habe gehört, es gebe in Erfurt eine katholisch-theologische Fakultät, sie interessiere sich für das religiöse Leben. Sie machten saure Gesichter, konnten aber nichts machen, und es wurde alles sehr peinlich: für die Kulturfritzen, für die Theologen und für uns. Die Theologen mußten ja meinen, wir hätten irgend etwas mit diesen Idioten zu tun, und keiner sprach offen mit Marie, auch als sie sich über Glaubensfragen mit einem Professor unterhielt. Der merkte irgendwie, daß Marie nicht richtig mit mir verheiratet war. Er fragte sie in Gegenwart der Funktionäre: »Aber Sie sind doch wirklich Katholikin«, und sie wurde schamrot und sagte: »Ja, auch wenn ich in der Sünde lebe, bleibe ich ja katholisch.« Es wurde scheußlich, als wir merkten, daß auch den Funktionären unser Nicht-verheiratetsein gar nicht gefiel, und als wir dann zum Kaffee ins Hotel zurückgingen, fing einer der Funktionäre davon an, daß es bestimmte Erscheinungsformen kleinbürgerlicher Anarchie gebe, die er gar nicht billige. Dann fragten sie mich, was ich vorführen wolle, in Leipzig, in Rostock, ob ich nicht den
    »Kardinal«, »Ankunft in Bonn« und »Aufsichtsratssitzung« vorführen könne. (Woher sie vom Kardinal wußten, haben wir nie herausgekriegt, denn diese Nummer hatte ich für mich allein einstudiert, sie nur Marie gezeigt, und die hatte mich gebeten,
    sie doch nicht aufzuführen, Kardinale trügen nun einmal Märtyrerrot.) Und ich
    müsse erst die Lebensbedingungen hier ein wenig studieren, denn der Sinn der Komik läge darin, den Menschen in abstrakter Form Situationen vorzuführen, die ihrer eigenen Wirklichkeit entnommen seien, nicht einer fremden, und es gäbe ja in ihrem Land weder Bonn noch Aufsichtsräte, noch Kardinale. Sie wurden unruhig, einer wurde sogar blaß und sagte, sie hätten sich das anders vorgestellt, und ich sagte, ich auch. Es war scheußlich. Ich sagte, ich könnte ja ein bißchen studieren und eine Nummer wie »Sitzung des Kreiskomitees« vorführen oder »Der Kulturrat tritt zusammen«, oder »Der Parteitag wählt sein Präsidium« - oder »Erfurt, die Blumenstadt«; es sah gerade um den Erfurter Bahnhof herum nach allem anderen, nur nicht nach Blumen aus - aber da stand der Hauptmacher auf, sagte, sie könnten doch keine Propaganda gegen die Arbeiterklasse dulden. Er war schon nicht mehr blaß, sondern richtig bleich - ein paar andere waren wenigstens so mutig, zu grinsen. Ich erwiderte ihm, ich sähe keine Propaganda gegen die Arbeiterklasse darin, wenn ich etwa eine leicht einzustudierende Nummer wie »Der Parteitag wählt sein Präsidium« vorführte, und ich machte den dummen Fehler, Bardeidag zu sagen, da wurde der bleiche Fanatiker wild, schlug auf den Tisch, so heftig, daß mir die Schlagsahne vom Kuchen auf den Teller rutschte, und sagte: »Wir haben uns in Ihnen getäuscht, getäuscht«, und ich sagte, dann könnte ich ja abfahren, und er sagte: »Ja, das können Sie - bitte, mit dem nächsten Zug.« Ich sagte noch, ich könnte ja die Nummer Aufsichtsrat einfach Sitzung des Kreiskomitees nennen, denn da würden ja wohl auch nur Sachen beschlossen, die vorher schon beschlossene Sache gewesen wären. Da wurden sie regelrecht unhöflich, verließen das Sälchen, bezahlten nicht einmal den Kaffee für uns. Marie weinte, ich war nahe daran, irgend jemand zu ohrfeigen, und als wir dann zum Bahnhof hinübergingen, um mit dem nächsten Zug zurückzufahren, war weder ein Gepäckträger noch ein Boy aufzutreiben, und wir mußten eigenhändig
    unsere Koffer schleppen, etwas, was ich hasse. Zum Glück begeg-
    nete uns auf dem Bahnhofsvorplatz einer von den jungen Theologen, mit denen Marie am Morgen gesprochen hatte. Er wurde rot, als er uns sah, nahm aber der weinenden Marie den schweren Koffer aus der Hand, und Marie flüsterte die ganze Zeit über auf ihn ein, er solle sich doch nicht in Schwierigkeiten bringen.
    Es war scheußlich. Wir waren im ganzen nur sechs oder sieben Stunden in Erfurt gewesen, aber wir

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