Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme
sollen Deutsch lernen und Ausbildungen absolvieren, vor allem Muslime. Wenn die Migranten dies tun, dann lässt es sich doch überhaupt nicht vermeiden, dass am Ende ein gewisses Quantum begüterter Migranten vorhanden ist. So läuft das doch. Du lernst Deutsch, du machst Abi, studierst, du bist angepasst, bist fleißig und gut im Job – da fährst du quasi auf der Autobahn ins Begütertsein! Und am Ende der Autobahn steht der deutsche Innenminister, dem das auch wieder nicht recht ist. Dann heißt es womöglich: »Am schlimmsten von allen sind die begüterten Muslime.«
Da würde ich mir als Muslim aber ganz schön auf den Arm genommen vorkommen. Da bleibst du als Muslim doch besser gleich Hartz IV. Dann mag dich wenigstens der deutsche Innenminister. Und wenn du deinem Kind eine falsche Krankmeldung schreibst, ist es auch nicht ganz so schlimm.
Über Neger
Zu diesem und zu allen folgenden Jubiläen der deutschen Wiedervereinigung nur ganz kurz das Folgende: Meine Heimatstadt Mainz, durch deren Mitte der Rhein fließt, wurde 1945 von den Amerikanern besetzt. Anschließend wurden Besatzungszonen geschaffen. Die Amerikaner dachten: »Als Grenze zwischen der französischen Zone und unserer Zone nehmen wir am besten den Fluss Rhein. Diese Grenze kann man sich leicht merken.« Dreiundfünfzig Prozent des Mainzer Stadtgebietes wurden also, weil Amerikaner es gerne unkompliziert haben, von Mainz abgetrennt und zum größten Teil der in der ehrlichen Arbeiterstadt Mainz zutiefst verhassten, schnöseligen und nichtsnutzigen Beamtenstadt Wiesbaden zugeschlagen, darunter Gebiete, die seit zweitausend Jahren, seit Kaiser Augustus, zu Mainz gehörten.
Als die Bundesrepublik gegründet wurde, übergab man das geraubte Gebiet, angeblich »treuhänderisch«, den Wiesbadenern. Emotional war das etwa so, als ob man die Hälfte der USA treuhänderisch an Nordkorea übergibt.
Mainz ist, ähnlich wie Nikosia auf Zypern, eine seit Jahrzehnten geteilte Stadt, jedes Mainzer Kind wächst mit dem Gefühl der widerrechtlichen Spaltung auf.
1986 gab es in den geraubten Gebieten eine Volksabstimmung, die Mainz natürlich haushoch gewann. Wer nicht zur Volksabstimmung ging, vielleicht wegen Krankheit oder einer Reise, wurde automatisch als Pro-Wiesbaden-Stimme gerechnet. Ich nenne das Wahlfälschung. 2006 gab es eine Umfrage, wieder mit einer Mehrheit für die Wiedervereinigung.
Aber auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker geben die Wiesbadener einen Dreck.
Deswegen kann ich den Jahrestag des Mauerfalls nicht so unbeschwert mitfeiern wie andere. Meine Heimat jedenfalls ist noch nicht wiedervereinigt. Außer dem Mauerfall wurden im Jubiläumsjahr 2009 übrigens auch der hundertste Geburtstag und der zwanzigste Todestag des Mainzer Karnevalssängers Ernst Neger begangen, der wirklich so hieß und im Hauptberuf Dachdecker war. Als Ernst Neger 1964 seinen Superhit »Humba Täterä« uraufführte, applaudierte das Mainzer Publikum eine Stunde lang. Die Fernsehübertragung zeigte tatsächlich eine Stunde lang applaudierendes Publikum, dies gilt als Weltrekord und als einer der merkwürdigsten Vorfälle der deutschen Mediengeschichte.
Negers anderer Superhit »Heile, heile Gänsje« – hochdeutsch: Kleine Gans, werde wieder gesund – enthält in der Urfassung eine Strophe zur Mainzer Teilung: »Man hat’s mit Mainz genau gemacht wie mit der Stadt Berlin, man hat’s zerstört, hat’s zweigeteilt. Mainz und Berlin, ihr seid so schön, ihr könnt, ihr dürft nicht untergeh’n. Kleine Gans, werde wieder gesund.«
Das wollte ich mir im Original anhören. Also habe ich bei iTunes, dem Musikportal von Apple, den Suchbegriff »Ernst Neger« eingegeben. Dann passierte etwas Eigenartiges. Beim Abspielen des Songs wandelt ihn der Computer eigenmächtig um, in »Ernst N***r«. Die Negers, wie gesagt, sind eine uralte Mainzer Sippe. Die heißen einfach so. Ich habe dann probiert, welche anderen Musiker bei iTunes problemlos gehen, es sind unter anderem die Böhsen Onkelz sowie die Bands Nigga please, Bitch Niggaz und Sucka Nigga. Mit anderen Worten, Ernst Neger müsste sich, um für iTunes akzeptabel zu sein, posthum in »Böhser Onkel Neger« oder in »Ernst Sucka Bitch Nigga« umbenennen.
Über Nobelpreise
Im Romanistikstudium habe ich tatsächlich mal versucht, einen Roman von Le Clézio zu lesen, dem Nobelpreisträger. Schwülstiger geht’s nicht. Tropenkitsch. Wissen Sie, das ist nett, was Sie da gerade gesagt haben, aber ich selber
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