Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme
Schauspieler, die aus den vorgestellten Büchern jeweils kurz vorlasen, dazu die Namen von acht oder zehn bildenden Künstlern, die Kunstwerke geschaffen hätten, die von den Büchern inspiriert seien, für einen guten Zweck, den ich bitte nennen solle, ich solle unbedingt auf einen Videostream hinweisen, der im Internet zu sehen sei, ich solle vor allem nicht vergessen, die Gewinner der von dem Sender verlosten neun Literaturpakete zu verkünden, während der Nachrichtenpause aber solle ich, ganz wichtig, weil die Mittelwelle keine Nachrichten bringt, das Publikum im Saal »bespaßen«, wie, sei meine Sache, ich solle auf die Uhr achten und um genau neun Sekunden vor der vollen Stunde an die Nachrichten abgeben, keinesfalls eine Sekunde früher oder später, am allerwichtigsten aber sei es, dass ich die Regieanweisungen ausführe, die ich in meinem Ohr hören werde, mithilfe eines Lautsprechers, den sie in mein Ohr hineintun würden.
Ich sagte, ich weiß nicht, ob ich mir das alles merken kann.
Ich kann mit Müh und Not gleichzeitig telefonieren und die Spülmaschine ausräumen. Ich war plötzlich sehr besorgt. Die Namen und Vorschriften habe ich in großer Eile auf mehrere Zettel geschrieben. Der Saal war sehr voll, ich wurde auch mit der Kamera aufgenommen und irgendwohin übertragen. Als ich an mein Stehpult ging, hörte ich plötzlich in meinem Ohr, wie ein Mann und eine Frau sich unterhielten.
Er sagte: »Ich hab mich um den Job beworben, aber ich glaube, sie nehmen Schulz, diesen Kriecher.« Sie antwortete: »Jeder weiß, Klaus, dass du besser bist als Schulz, das Schwein.«
Das also waren die Regieanweisungen? Ich schwieg. Die Leute schwiegen ebenfalls.
Nun hörte man im Saal eine Lautsprecherstimme: »Musik! Jetzt müsste Musik kommen.« Die Band spielte etwas Flottes. Ich merkte, dass ich in Panik meine Zettel mit den Namen verwuschelt hatte. Ein Schauspieler trat auf.
In meinem Ohr hörte ich wieder die Männerstimme. Sie sagte spitz: »Hattest du nicht mal was mit Schulz?« Die Frau schrie: »Wer erzählt das?«
Ich schwitzte. Ich schaute auf einen meiner Zettel und sagte: »Ja, ähm, Künstler haben Kunstwerke geschaffen. Es gibt auch einen Videostream. Und nun ein Text von Hermann Harry Schulz, gelesen von Rainer Schulz.« Der Schauspieler sah mich wütend an. Dann sagte er: »Ich bin nicht Rainer Schulz. Ich heiße Reginald Balderschwang.« Das lief live in ganz Deutschland, auf neun Radiosendern!
In meinem Ohr schrie jemand: »Das kann nur von Schulz selber kommen!«
Der Regisseur sagte, sie hätten den falschen Regler hochgeschoben. Das würden sie bei Erstmoderationen immer machen, um den Moderator zu testen. Moderieren hatte ich mir einfacher vorgestellt.
Über Mord
Ich traf eine Jugendfreundin. Wir waren in unserer Studentenzeit zusammen, hatten eine gemeinsame Wohnung und sind gemeinsam wochenlang in Indien und Sri Lanka und derartigen Ländern herumgereist. Die Jugendfreundin rührte in ihrem Kaffee und sagte: »Ich wollte dich ermorden. Das wollte ich eigentlich immer mal erzählen.«
Na ja, sagte ich sinngemäß, kein Problem, solche Gedanken hat vermutlich fast jeder Mensch irgendwann. Man ist auf jemanden sauer, man ist extrem wütend, man hat ein leicht entzündbares Temperament, und schwups, schon wünscht man jemandem den Tod oder hat Mordfantasien. Zwischen Denken und Tun gibt es zum Glück einen großen Unterschied. Kein Problem.
»So war das aber nicht«, sagte die Freundin. »Ich habe nicht bloß für einen kurzen Moment den Gedanken gehabt. Ich habe den Mord, wie es sich für einen richtigen Mord gehört, geplant und vorbereitet.«
Es war in Sri Lanka. Siebziger Jahre. Wir wohnten am Strand. Neben dem Dorf begann eine Steilküste, die sich einige Kilometer die Küste entlangzog und an ihren höchsten Stellen an die hundert Meter hoch war. Während ich am Strand lag und las, vermutlich Adorno, Dialektik der Aufklärung, ging sie zu dieser Steilküste und suchte eine Stelle aus, die zum Herunterschubsen gut geeignet war, eine Stelle, die nicht beobachtet werden konnte, eine Stelle, wo es tief und gerade nach unten ging, ohne die Möglichkeit, sich an einem Strauch oder an Steinen festzukrallen, gleichzeitig eine Stelle, wo es eine Aussicht gab, also für den Spaziergänger ein Motiv, stehen zu bleiben, sich an den Rand der Küste zu stellen und jenen falschen Schritt zu tun, der ihm vermeintlich, nach Ansicht der nach seinem Tod ermittelnden Polizei, zum Verhängnis
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