Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
gründet. Dabei stützte er sich auf achtzehn Fälle, die es nie gegeben hat. Auch bei seinen Behandlungen folgte er dieser Theorie. Die zu Vergewaltigern ihrer Kinder erklärten Eltern reagierten empört. Freud erklärte Fließ in einem Brief vom 21. September, angesichts des sich leerenden Wartezimmers wende er sich von der Verführungstheorie ab. Doch zeitlebens leitete er die Neurosen aus in der Kindheit erlittenen sexuellen Traumata her.
(29. Dezember): Fließ gegenüber bezeichnet er seine Arbeit als »Drekkologie« ( Briefe an Wilhelm Fließ, S. 316).
Die Erfindung des Ödipuskomplex’
(3. Oktober): Freud schrieb an Fließ, dass seine »Libido gegen matrem [ sic ] erwacht ist, und zwar aus Anlaß der Reise mit ihr von Leipzig nach Wien, auf welcher ein gemeinsames Übernachten und Gelegenheit, sie nudam [ sic ] zu sehen, vorgefallen sein muß [ sic ].« ( Briefe an Wilhelm Fließ, S. 288) Diese mögliche Version der Geschichte wurde dank Freuds performativer Methodik zur universellen Wahrheit: Was er erlebt hatte, mussten auch alle anderen erlebt haben, getreu dem Prinzip aus einem Brief an Fließ vom 15. Oktober 1897: »Ein einziger Gedanke von allgemeinem Wert ist mir aufgegangen.« (ebd., S. 293) Und tatsächlich wurde seine Hypothese zur Wahrheit, und zwar in jener Biographie, die zum Modell für alle späteren wurde. Jones zufolge »wollte es auf der Reise von Leipzig nach Wien der Zufall, daß Freud seine Mutter nackt sah.« (Jones, Sigmund Freud – Leben und Werk, Bd. I, S. 31) So wurde die These zur wissenschaftlichen Wahrheit und Freuds solipsistische Begierde zur universellen Wirklichkeit.
1898 (15. März): In einem Brief an Fließ schrieb Freud: »[I]ch schlafe bei den Nachmittagsanalysen« ( Briefe an Wilhelm Fließ, S. 331). Diesen faktischen Betrug am Patienten münzte er 1912 in eine Theorie um, nach der ein Analytiker während der Sitzungen ruhig schlafen könne, herrsche doch das Prinzip der »gleichschwebende [n] Aufmerksamkeit« ( Ratschläge für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung, Bd. VIII, S. 377).
Wie schon 1900, 1902, 1903, 1904, 1905, 1907, 1908, 1913, 1919 … fuhr er mit seiner Schwägerin in den Urlaub. Freud und Minna residierten im Hotel Schweizerhaus. Auf den Namen »Dr. Sigmund Freud und Frau« reservierte er für drei Nächte ein Zimmer mit Doppelbett.
1900 (1. Januar): Freud schrieb Fließ, er habe Nietzsches Werke gekauft – allerdings nicht, um sie zu lesen.
(1. Februar): An Fließ: »Ich bin nämlich gar kein Mann der Wissenschaft, kein Beobachter, kein Experimentator, kein Denker. Ich bin nichts als ein Conquistadorentemperament, ein Abenteurer, wenn Du es übersetzt willst, mit der Neugierde, der Kühnheit und der Zähigkeit eines solchen. Solche Leute pflegt man nur zu schätzen, wenn sie Erfolg gehabt, wirklich etwas entdeckt haben, sonst aber sie beiseite zu werfen.« ( Briefe an Wilhelm Fließ, S. 437)
(12. Juni): Freud fragte Fließ, ob wohl eines Tages eine Gedenktafel an dem Haus angebracht würde, in dem Die Traumdeutung entstanden war.
1902: Freud war beleidigt, nicht zum außerordentlichen Professor ernannt worden zu sein, und nützte deshalb seine Beziehungen: Eine Baronin, die bei ihm Patientin war, bot in seinem Namen dem Ministerium ein Gemälde für ein zukünftiges Museum für zeitgenössische Kunst an. Und schon bekam er die erhoffte Position.
Der Wiener Schamane
1910 (Brief vom 9. April an Ludwig Binswanger): Zwar schrieb Freud der Psychoanalyse zu, behandeln und heilen zu können (siehe Die Freudsche psychoanalytische Methode, 1904; Über Psychotherapie, 1905; Die zukünftigen Chancen der psychoanalytischen Therapie, 1910; Über »wilde« Psychoanalyse, 1910). Dennoch riet er in dem Brief zur Anwendung des »Psychrophor«, einer Sonde, mit der eiskaltes Wasser in die Harnröhre geleitet werden konnte, und zwar zur Behandlung (!) der Masturbation. Im selben Jahr, in dem er diese seltsame Methode verschrieb, veröffentlichte er auch Über Psychoanalyse.
(Oktober): Tod seiner Schwiegermutter. Um seine Frau Martha nicht zur Beerdigung begleiten zu müssen, schob er Termine mit Patienten vor.
1911 (28. Mai): In einem Brief an Binswanger gestand Freud die Grenzen der psychoanalytischen Therapie ein: »Die Mohren stammen aus einem alten, bei uns verbreiteten Scherz, der die psychoanalytische Kur eine ›Mohrenwäsche‹ heißt. Nicht ganz mit Unrecht, wenn wir uns einmal über das in der inneren Medizin anerkannte
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