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Anubis 02 - Horus

Anubis 02 - Horus

Titel: Anubis 02 - Horus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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unangenehm berührt. Schließlich gab sie sich einen spürbaren Ruck. »Nein«, sagte sie. »Es tut mir leid. Ich kenne diese Adresse nicht. London ist groß.«
    Bast hatte das Gefühl, dass das nicht die Wahrheit war, aber sie sagte nichts dazu, sondern nahm den Zettel zurück und geduldete sich schweigend, bis der Kutscher auch den Rest ihrer Gepäckstücke nach oben gebracht hatte. Er hatte ihr zwar gesagt, dass die Fahrt bereits im Voraus bezahlt war, aber sie gab ihm dennoch ein großzügiges Trinkgeld.
    »Sind Sie heute Abend frei, Arthur?«, fragte sie.
    »Ja.«
    »Wunderbar«, antwortete Bast. »Dann holen Sie mich doch bitte in zwei Stunden hier wieder ab. Ich muss noch ein paar Dinge erledigen, und ich fürchte, ich kenne mich in dieser Stadt überhaupt nicht aus.«
    »In zwei Stunden? Sehr gerne.« Arthur strahlte über das ganze faltige Gesicht und wäre in seiner Hast, rückwärts aus der Tür zu gehen, beinahe über seine eigenen Füße gestolpert.
    Bast wartete, bis er die Tür hinter sich geschlossen hatte, erst dann drehte sie sich wieder zu Mrs Walsh um.
    Die Pensionswirtin hatte sie die ganze Zeit über angestarrt. Ihr Gesichtsausdruck hatte sich jedoch abermals verändert. Etwas Nachdenkliches und Abschätzendes lag jetzt darin. Es erlosch sofort wieder und machte einem Lächeln Platz, als sie ihrem Blick begegnete.
    »Also … Sie möchten wirklich keinen Tee?«
    »Liebend gern, später«, antwortete Bast. »Ich muss aus diesen Kleidern heraus und mich waschen. Ich habe sie die letzten Tage an Bord getragen und fühle mich, als würde ich stinken wie ein Fisch.«
    »Das kann ich verstehen«, antwortete Mrs Walsh lächelnd. »Dann bringe ich Ihnen eine Schüssel mit heißem Wasser und saubere Tücher.«
    »Das wäre wunderbar«, antwortete Bast, während sie sich bereits herumdrehte und die Treppe am anderen Ende des Zimmers ansteuerte. »Und … hätten Sie vielleicht auch ein Rasiermesser, das Sie mir leihen könnten?«

    Mrs Walsh hatte ihr nicht nur das versprochene heiße Wasser gebracht, sondern außerdem auch noch eine Kanne Tee und einen Teller mit Gebäck. Bast hatte eigentlich nur anstandshalber davon probieren wollen, aber beides erwies sich als so köstlich, dass sie sich geradezu mit Heißhunger darauf gestürzt und binnen weniger Augenblicke alles restlos verzehrt hatte. Erst danach hatte sie sich ihrer schmutzigen Kleider entledigt, die tatsächlich stanken, als hätte sie eine Woche lang auf einem Fischkutter gearbeitet, um sich gründlich und sehr ausgiebig zu waschen.
    Danach war sie, nackt bis auf die Kette mit dem goldenen Skarabäus um ihren Hals, vor den Spiegel getreten. Der Spiegel war alt, stand nicht ganz gerade und war an einigen Stellen schon fleckig geworden, und doch zeigte er ihr nichts anderes als das Abbild einer Göttin.
    Einer schwarzen Göttin. Nicht braun, nicht dunkel, sondern so schwarz wie die Nacht, die sich draußen allmählich über die Stadt zu senken begann.
    Bast war größer als die meisten Männer, denen sie zeit ihres Lebens begegnet war, und von schlankem, athletischem Wuchs. Wie ihre Gesichtszüge ähnelte auch ihr Körperbau viel mehr dem eines Europäers als derjenigen Völker, die ihren Heimatkontinent bewohnten, und ihre Haut war selbst für eine Nubierin ungewöhnlich dunkel; sicherlich einer der Gründe, aus denen der Anblick ihres Gesichts allein ausreichte, um beinahe jeden Mann nervös zu machen, und obwohl es keine sehr junge Frau mehr war, die ihr aus dem Spiegel entgegenblickte, konnte sie doch stolz auf ihren Körper sein. Sie war sicherlich nicht die schönste Frau in dieser Stadt – nach gängigen Maßstäben –, aber allen anderen und jüngeren und möglicherweise sogar schöneren Frauen gegenüber, die je vor diesem Spiegel gestanden haben mochten, hatte sie einen gewaltigen Vorteil. Sie war eine Göttin. Sie stand eine geraume Weile einfach da und sah sich selbst und vor allem ihr langes, in unmöglich zu bändigenden feuerfarbenen Locken fallendes Haar, das ebenso auffallend und für eine Frau ihrer Herkunft ungewöhnlich war wie ihre Größe, und die eine oder andere Kleinigkeit, die sich auf den ersten Blick vielleicht nicht sofort offenbarte.
    Lange Zeit stand sie einfach so da, dann trat sie wieder an das kleine Tischchen heran, auf dem die Porzellanschüssel mit heißem Wasser stand und nahm das Rasiermesser zur Hand, das die Pensionswirtin ihr gebracht hatte. Es besaß einen Griff aus altgelbem Elfenbein und war nicht

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