Anubis 02 - Horus
sonderbare Gestalt in der Nähe der Tatorte gesehen haben wollen. Schon damals, als die ersten beiden Morde geschahen. Sie haben von einem dunkelhäutigen Riesen mit sonderbarer Kleidung erzählt. Ein Riese mit einem Turban und einem Schwert.«
»Und natürlich kam Ihnen diese Beschreibung … bekannt vor, als Sie mich das erste Mal gesehen habe«, sagte Bast lächelnd. Aber es war ein Lächeln, hinter dem sich ein tiefer Schrecken verbarg – und auch eine kalte, allmählich aufkeimende Wut. Die Zeugen, von denen Abberline sprach, hatten sich nicht geirrt. Aber sie hatten nicht sie gesehen.
»Ich kann mich nur noch einmal entschuldigen, Miss Bast«, sagte Abberline, nachdem sich das Schweigen eine geraume Weile lang dahingezogen hatte. »Aber Sie müssen verstehen, dass …«
»Das verstehe ich nur zu gut«, unterbrach ihn Bast. »Aber ich kann Ihnen nicht helfen, fürchte ich – wenn Sie das erwartet haben. Ich weiß nicht, wer dieser andere Schwarze sein könnte.«
»Ich hatte es in der Tat gehofft«, gestand Abberline. Sie las in seinem Gesicht, dass er ihr kein Wort glaubte. »Aber vielleicht gibt es trotzdem den einen oder anderen Punkt, in dem Sie mir behilflich sein könnten. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich Ihnen gern ein paar Fragen stellen … aber nicht jetzt. Vielleicht sollten wir alle erst einmal ein wenig zur Ruhe kommen und unsere Gedanken ordnen.«
»Jederzeit«, sagte Bast. Ihre Gedanken jagten sich noch immer. Es gab keinen Zweifel daran, auf wen Abberlines Beschreibung zutraf – aber sie verstand nicht, warum Isis ihr nichts davon erzählt hatte.
»Gut, dann … werde ich Ihre Zeit nicht noch länger unnötig in Anspruch nehmen.« Abberline stand auf. »Es gibt da nur noch eines: Ich habe mit Mr Monro gesprochen.«
»Über mich?«
»Genau genommen war er es, der mich angesprochen hat«, antwortete Abberline. »Auch er kennt natürlich diese Zeugenaussagen, und er hat auch von Ihnen gehört. Selbstverständlich werden Sie nicht im Geringsten verdächtigt. Wie auch? Sie waren ja nicht einmal in diesem Land, als diese schreckliche Mordserie begonnen hat. Dennoch würde er gern mit Ihnen reden.«
»Warum?«, fragte Maistowe.
»Weil es gewisse … Parallelen gibt, die nicht einmal ein stellvertretender Polizeidirektor übersehen kann, nicht wahr, Inspektor?«, fragte Bast, bevor Abberline antworten konnte.
Abberline zog es vor, auch dazu nichts zu sagen; zumindest nicht direkt. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, heute Nachmittag nach Whitehall zu kommen?«, fragte er. »Es ist ganz leicht zu finden. Jeder Droschkenfahrer kennt das neue Polizeipräsidium. Sagen wir, um vier … oder vielleicht besser um fünf. Selbst ich brauche dann und wann etwas Schlaf.«
»Fünf ist gut«, sagte Bast. »Ich nehme an, dieses … Whitehall liegt zentral?«
»Mitten in der City«, bestätigte Abberline. »Warum?«
»Weil ich ohnehin noch einmal in die Stadt wollte, um mir die Nadel der Kleopatra anzusehen«, antwortete Bast.
»Die Nadel der …« Abberlines Gesicht hellte sich auf. »Oh, ich verstehe. Sie meinen den großen Obelisken auf dem Victoria Embankment. Das liegt direkt am Themseufer. Es ist sehr schön dort und lohnt auf jeden Fall einen Besuch. Und von dort aus brauchen Sie nicht einmal mehr einen Wagen nach Whitehall. Sie erreichen es zu Fuß bequem in fünf Minuten.«
Ohne ein weiteres Wort wandte er sich zum Gehen und verließ das Haus, ohne sich auch nur verabschiedet zu haben. Maistowe blickte ihm kopfschüttelnd nach, wenngleich auch eher hilflos, während sich Mrs Walshs Miene zusehends verdüsterte.
»Das ist doch wieder einmal typisch!«, ereiferte sie sich. »Sie haben nicht die mindeste Ahnung und stürzen sich jetzt blindlings auf alles, was auch nur nach einer Spur aussieht! Geben Sie nur acht, meine Liebe, dass Sie sich am Ende nicht doch auf der Anklagebank wiederfinden.«
»Sie war nicht einmal auf diesem Kontinent, Gloria«, erinnerte sie Maistowe.
»Und?«, spöttelte Mrs Walsh. »So eine Kleinigkeit kann schon einmal in Vergessenheit geraten, wenn es darum geht, den Pöbel zu beruhigen.«
»Sie tun dem armen Frederick unrecht, Gloria«, sagte Maistowe.
»Ich kann nur hoffen, dass das so ist«, seufzte Mrs Walsh. »Aber sicher bin ich mir dessen leider nicht.« Sie wandte sich mit einem ebenso erschöpften wie besorgten Lächeln an Bast. »Sie wollen tatsächlich heute noch dorthin?«
»Was spricht dagegen?«, erwiderte Bast. »Ich habe eine Menge darüber
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