Der Weihnachtswunsch
Vorwort
Liebe Leserinnen und Leser,
als ich in die siebte Klasse ging, stellte unsere Englischlehrerin Mrs Johnson uns die faszinierende – allerdings auch ein wenig makabre – Aufgabe, den eigenen Nachruf zu schreiben. Merkwürdigerweise erinnere ich mich nur noch an wenig von dem, was ich über mein Leben geschrieben habe, aber ich weiß noch, wie ich starb: als Sieger in der Endrunde beim Autorennen Daytona 500. Damals erwog ich noch nicht, das Schreiben zu meinem Beruf zu machen, eine Beschäftigung mit einer bemerkenswert niedrigen Quote von Arbeitsunfällen.
Was mich an Mrs Johnsons Aufgabe am meisten faszinierte, war die Möglichkeit, mich mit meinem eigenen Vermächtnis auseinanderzusetzen. Wie wollen wir anderen in Erinnerung bleiben? Diese Frage hat unsere Spezies von Anfang an bewegt, angefangen mit dem Bau der Pyramiden bis hin zu den Wolkenkratzern, die mit den Namen einzelner Personen verbunden sind.
Als ich diesen Roman begann, hatte ich zwei Ziele. Erstens wollte ich herausfinden, was geschehen könnte, wenn jemand seinen Nachruf vor seinem Tod liest und aus erster Hand erfährt, wie andere wirklich über ihn denken und welches Vermächtnis er hinterlässt.
Zweitens wollte ich eine Weihnachtsgeschichte über eine echte Erlösung schreiben. Es gehört in meiner Familie zur Tradition, dass wir um die Weihnachtszeit eine örtliche Aufführung von Charles Dickens’ Eine Weihnachtsgeschichte besuchen. Ich weiß nicht, wie oft ich sie schon gesehen habe (vielleicht ein Dutzend Mal), aber es rührt mich noch immer, den Wandel zu beobachten, den Ebenezer Scrooge vollzieht, wenn er sich von einem langweiligen Geizhals in einen reumütigen Mann von jugendlicher Spontaneität mit Liebe im Herzen verwandelt. Ich verlasse die Vorstellung stets mit einem Lächeln auf dem Gesicht und dem festen Vorsatz, ein besserer Mensch zu werden.
Das ist es, was ich an diesem Fest gern mit Ihnen teilen möchte, liebe Leser: eine Weihnachtsgeschichte, die Ihre Feiertage, Ihr Zuhause und Ihre Herzen erwärmt.
Frohe Weihnachten!
Ihr Richard Paul Evans
Memo
An: James Kier
Von: Linda Nash
Betrifft: Die von Ihnen angeforderte Liste
Hier ist die von Ihnen angeforderte Liste. Die Reihenfolge der Namen ist willkürlich gewählt. Als Anlage ein Absatz über jede einzelne Person und ihre Beziehung zu Ihnen. Ich wünsche Ihnen bei Ihren Bemühungen alles Gute und hoffe, dass Sie erreichen, was Sie möchten.
Celeste Hatt
Eddie Grimes
Estelle und Karl Wyss
David Carnes
Gary Rossi
P.S. Frohe Weihnachten!
Erstes Kapitel
Samstag, drei Wochen vor Weihnachten
James Kier sah zwischen der Schlagzeile in der Zeitung und dem Foto von sich hin und her und wusste nicht recht, ob er lachen oder seinen Anwalt anrufen sollte. Es war das gleiche Bild, das die Tribune ein paar Jahre zuvor für ein Porträt von ihm auf der Titelseite des Wirtschaftsteils verwendet hatte. Beim Fototermin hatte er über einem schwarzen Seiden-T-Shirt einen silbergrauen Armani-Anzug mit Fischgrätmuster getragen, aus dessen Brusttasche strategisch geschickt ein ebenholzfarbenes Seidentuch hervorgelugt hatte. Das Schwarzweißfoto war mit Bedacht so geschossen worden, dass eine Gesichtshälfte ausgeleuchtet war, während die andere im Schatten lag. Der Fotograf, ein schwarz gekleideter junger Japaner mit einem Haarschopf in leuchtendem Pink, bevorzugte ein Bild in Schwarzweiß, weil er, in seinen Worten gesprochen, »auf einen Yin-Yang-Effekt aus« war, um Kiers »innere Komplexität vollständig erfassen zu können«. Der Fotograf war gut in seinem Metier. Kiers Gesichtsausdruck verriet schwindende Zuversicht.
Während die Fotografie die gleiche war, hätte sich die Schlagzeile von der früheren nicht krasser unterscheiden können. Nicht viele Menschen bekommen ihren eigenen Nachruf zu lesen.
Hiesiger Immobilienmogul stirbt bei Verkehrsunfall
James Kier, in Utah ansässiger Bauunternehmer, wurde für tot erklärt, nachdem sein Wagen an der I-80, Fahrtrichtung Süden, gegen einen Betonpfeiler geprallt war. Rettungskräfte arbeiteten über eine Stunde, um die Leiche des Mannes aus Salt Lake City aus dem Wrack zu bergen. Die Polizei vermutet, dass Kier einen Herzinfarkt erlitten hatte, bevor er von der Fahrbahn abkam.
Kier war Präsident der Kier Company, einer der größten Bauträgerfirmen des Westens. Er war als unerbittlicher, häufig rücksichtsloser Geschäftsmann bekannt. Einst sagte er: »Wenn Sie Freundschaften schließen wollen, treten Sie einem
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