Anubis 02 - Horus
beschloss, das Gespräch an dieser Stelle zu beenden, warf einen fast sehnsüchtigen Blick in Mrs Walshs Richtung und stellte fest, dass sie ihr Gespräch in genau diesem Augenblick – und sichtlich ohne Erfolg – zu Ende gebracht hatte und sich wutschnaubend herumdrehte, um Renouf und sie anzusteuern. Gut, diese wenigen Augenblicke konnte sie auch noch gute Miene zum eigentlich nicht einmal wirklich so bösen Spiel machen. Ihr unfreiwilliges Tête-à-Tête mit Renouf mit einem Affront zu beenden, fiel vermutlich auch nicht wirklich in die Kategorie unauffällig. »Ganz ehrlich?«
»Ich bitte darum.«
»Zu Zeiten als das hier gemacht worden ist«, sie machte eine angedeutete Geste, die die gesamte Halle einschloss, »und in meiner Heimat hat man Grabräuber hingerichtet.«
Nein, das war jetzt ganz eindeutig nicht mehr dazu angetan, ihn zu besänftigen, oder ihn sie möglichst schnell wieder vergessen zu lassen.
Zu ihrer Überraschung reagierte er jedoch nicht verletzt oder auch nur verstimmt, sondern zauberte ganz im Gegenteil sogar ein Lächeln auf sein Gesicht. »Vollkommen zu Recht«, sagte er. »Ginge es nach mir, dann wäre das möglicherweise auch heute noch so.« Er lachte erneut, als er ihre Verwirrung bemerkte. »Sie machen sich über mich lustig, nicht wahr? Sie gehören doch nicht wirklich zu denen, die wissenschaftliche Arbeit als Grabräuberei bezeichnen?«
»Als was bezeichnen Sie es denn?«, gab Bast zurück. Wo blieb Mrs Walsh?
»Als genau das«, antwortete er. »Wissenschaft. Wir holen die Vergangenheit ans Tageslicht und entreißen sie dem Vergessen. Niemand tut das, um sich zu bereichern. Ihr Volk hat eine großartige Geschichte, Miss Bast. Möchten Sie wirklich, dass sie für alle Zeit in Vergessenheit gerät? Doch wohl kaum.«
Bei manchem davon wäre es besser, dachte Bast. Aber sie sparte es sich, das laut auszusprechen. Diese Diskussion führte zu nichts. Seine Worte waren ehrlich gemeint, das spürte sie, aber genau das war es, was sie so schlimm machte. Sie hatte die, die es wirklich gut mit ihr meinten, schon immer mehr gefürchtet als ihre Feinde.
»Ich fürchte, dass mir im Moment die Zeit fehlt, weiter mit Ihnen zu plaudern, so amüsant es auch sein mag, Professor«, seufzte sie. »Vielleicht ein andermal.«
Renouf machte keinen Hehl aus seiner Enttäuschung, fing sich aber auch jetzt fast augenblicklich wieder. »Dann werfen Sie wenigstens noch einen Blick auf unseren ganzen Stolz«, sagte er und gestikulierte zugleich auf die zerschrammte Vitrine hinab. Er lachte. »Wenn Sie schon einen ägyptischen Streitwagen im Original gesehen haben, dann können Sie vielleicht auch dieses Schriftstück übersetzen, und ich kann hinterher behaupten, ich hätte es selbst getan und die Lorbeeren einheimsen.«
Bast beugte sich gehorsam vor und warf einen Blick auf das Papyrus, und Renouf redete fröhlich weiter: »Meine Kollegen und ich streiten seit einem Jahr über die genaue Übersetzung. Wir ordnen es Ramses II. zu, aber bisher konnten wir uns nicht einigen, ob es sich nun um ein königliches Edikt handelt, die Absetzung eines Statthalters betreffend, oder um eine Schmähschrift gegen einen fremden Potentaten.«
Bast hatte das Gefühl, dass Renouf sie auf die Probe stellen wollte, aber sie antwortete wahrheitsgemäß: »Es stammt aus der Zeit Ramses I., und es ist ein Pamphlet, in der sich eine Frau über die ständigen Seitensprünge ihres Gemahls mokiert, der ein hochrangiger Beamter am Hofe des Pharao war.« Sie richtete sich wieder auf und sah Renouf vollkommen ernst und so fest in die Augen, wie er es gerade noch aushielt. »Sie macht sich lustig darüber, dass er jedem Rockzipfel nachläuft, wo er doch im ehelichen Bett schon lange nicht mehr seinen Mann steht.«
Renouf starrte sie nun fassungslos an, und obwohl ihre innere Stimme ihr mittlerweile zuschrie, endlich die Klappe zu halten, fügte sie aus der Erinnerung noch hinzu: »Er wurde übrigens hingerichtet, nachdem bekannt wurde, dass einer der Rockzipfel, denen er nachjagte, zum Harem des Pharao gehörte.«
Ra – oder wer immer auch das Schicksal der Welten in diesem Moment lenkte – hatte endlich ein Einsehen mit ihr und ließ Mrs Walsh auftauchen; schnaubend vor Empörung und so aufgebracht, dass sie all ihre gute Erziehung vergaß und sich rücksichtslos zwischen Renouf und sie schob.
»Dieser Kerl ist einfach unmöglich«, ereiferte sie sich. »Ich habe ihm nur eine ganz höfliche Frage gestellt, und er führt sich
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