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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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hat der Bürgermeister damals geglaubt, der Anschluss käm von selber, sobald der Bahnhof da ist.«
    »Aber er kam nicht.«
    »Nein«, bestätigte Tom kopfschüttelnd. »Aber das war vor meiner Geburt. Damals gab es viele Eisenbahnarbeiter hier. Etliche sind geblieben, aber die meisten sind weggegangen, nachdem klar war, dass es keinen Bahnhof geben würde.«
    Toms Erklärung klang beiläufig, und das war sie wohl auch; etwas, von dem er gehört hatte und das sich zugetragen hatte, lange bevor er überhaupt auf die Welt gekommen war, und ihn somit nicht berührte. Mogens jedoch empfand für einen flüchtigen Moment ein sonderbares Gefühl der Trauer, während er auf den kleinen Ort hinabsah, der selbst aus der Entfernung trostlos wirkte. Er kannte die Menschen dort unten nicht und hatte weder Anteil an ihrem Schicksal noch die Möglichkeit, irgendetwas für sie zu tun, und dennoch berührte es ihn tiefer, als er es sich im ersten Moment erklären konnte. Dieser Ort war gestorben, noch bevor er jemals richtig gelebt hatte, nur weil irgendjemand mit einem willkürlichen Federstrich entschieden hatte, dass das kleine Bahnhofsgebäude niemals seiner Bestimmung übergeben werden sollte. Dabei lag eine der größten Städte des Landes praktisch zum Greifen nahe. Wie dicht doch pulsierendes Leben und allmähliches Dahinsiechen manchmal beieinander lagen.
    Er verscheuchte den Gedanken und gab Tom mit einer Geste zu verstehen, dass er weiterfahren solle. Als sie denGrat erreichten, hatten sie die Dämmerung wieder ein Stück weit hinter sich gelassen, aber sie kroch unerbittlich hinter ihnen her und würde sie vermutlich eingeholt haben, bevor sie die Stadt erreichten. Mogens hätte sich die Grabungsstätte, von der Tom gesprochen hatte, gerne noch bei Tageslicht angesehen, sagte sich aber selbst, dass sie es vermutlich nicht mehr schaffen würden.
    Tom schob den Ganghebel knirschend vor, und der Wagen setzte sich in Bewegung. Kurz bevor sie den Berggrat verließen, drehte Mogens noch einmal den Kopf und sah nach Westen zurück. Das Meer war fast vollkommen verschwunden. Selbst von hier oben aus sah er nur noch einen kaum fingerbreiten, grell kupferfarbenen Streifen vor dem bereits dunkler werdenden Horizont. Aber er verspürte ein sonderbares Gefühl der Erleichterung, das er sich im ersten Moment selbst nicht erklären konnte. Obwohl der rationale Teil seines Denkens sich noch immer weigerte, diesen unheimlichen Gefühlen irgendeine Bedeutung zuzumessen, spukten in seinem Kopf weiter Bilder von bizarren Kreaturen, die tief am Meeresgrund lebten und aus gierigen Augen in die endlose Schwärze über sich starrten, die ihre Welt seit Anbeginn der Zeiten einhüllte.
    Es musste an Graves liegen, entschied er. Während der letzten vier Tage war nicht eine Stunde vergangen, in der er nicht mindestens einmal über ihr bizarres Wiedersehen in Thompson nachgedacht hatte. Mittlerweile hatte er etliches von dem revidiert, was er über Graves und die unheimliche Veränderung, die mit ihm vonstatten gegangen war, gedacht hatte. Sicherlich war Jonathan Graves niemals ein angenehmer Mensch gewesen, nicht einmal damals, während jener Zeit, als Mogens noch glaubte, in ihm, wenn schon keinen Freund, so doch zumindest einen Kommilitonen zu haben, der sich an die Regeln studentischer Kameradschaft hielt. Aber ihm seine Menschlichkeit abzusprechen war des Guten nun doch etwas zu viel.
    Seine Nerven hatten ihm einen Streich gespielt, und das war nach allem Vorgefallenen auch nicht weiter verwunderlich. Mogens gab sich selbst für diesen allerersten Moment intellektueller Verwirrung Dispens, rief sich zugleich aber in Gedanken zur Ordnung. Er würde Graves nicht gestatten, Macht über seine Gefühle und damit letzten Endes über sein Denken zu erlangen.
    Was nichts daran änderte, dass er hörbar erleichtert aufatmete, als der Wagen die Böschung hinabzurumpeln begann und der Ozean damit außer Sicht geriet.
    Tom, der den Laut gehört hatte, deutete ihn falsch und sagte: »Das Schlimmste ist gleich vorbei, keine Angst.«
    Mogens schluckte die Antwort herunter, die ihm auf der Zunge lag. Mochte Tom ruhig glauben, dass ihm die Fahrt durch das unwegsame Gelände zu schaffen machte; vielleicht trug dies ja dazu bei, die Distanz zwischen ihnen etwas kleiner werden zu lassen. Mogens war durchaus realistisch genug, sich von Toms lockerer Art nicht täuschen zu lassen; hinter seiner bewusst zur Schau gestellten Selbstsicherheit verbarg sich das genaue

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