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Anziehungskraft: Stil kennt keine Größe (German Edition)

Anziehungskraft: Stil kennt keine Größe (German Edition)

Titel: Anziehungskraft: Stil kennt keine Größe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Maria Kretschmer
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erinnern mochte. Wobei wir auch schon bei ihrer Lieblingsfarbe wären. Ein Leben in und mit eben jenem Ton, der nicht blau und nicht grau ist und nicht hell, auch nicht dunkel, der etwas Oma ruft, aber auch Mädchen, und der etwas Leichtigkeit verspricht: Violett. Tatsache war: Der Ton stand ihr gut, obwohl er sie viel dicker erscheinen ließ, als sie wirklich war. Violett war also nicht gerade ihr perfekter Partner, wie so einiges in ihrem Leben nicht perfekt gelaufen war. Sie wohnte in einer kleinen, sehr gepflegten Wohnung. Alles in diesem Ambiente war in den späten 70er-Jahren angeschafft worden. Es war etwas altbacken, nicht stylisch, wie dieser Look der 70er in Form von Möbeln und Dekor vermuten ließe. Es handelte sich hier eben um die bürgerliche Variante von mittelmäßiger Qualität. Wie ein Jugendzimmer aus jener Zeit, das sich selbstständig gemacht und den Rest der Wohnung übernommen hatte. Als wäre eine 14-Jährige im Jahre 1975 schlagartig allein gelassen worden und hätte dann ihr Jugendzimmer in der Wohnung verteilt.
    Ihre Garderobe war gut sortiert, tadellos gepflegt und, wie alles um sie herum, für die Ewigkeit konserviert. Die Bettwäsche in ihrem Kleiderschrank war perfekt geplättet und diente als Schutzwall für ihren Schatz.
    Die blassblaue Samtkiste hatte verstärkte Ecken aus goldfarbenem Metall. Ein kleines Vorhängeschloss aus rubinroter Emaille, das mehr an eine Kinderschatztruhe als an eine Schmuckschatulle erinnerte. Rückblickend muss ich gestehen, dass ich es nie mochte, mit Damen in Schlafzimmern zu sitzen und mir ihre Schätze zeigen zu lassen. Es hatte immer so etwas Intimes – kam mir oft zu nah, ich wollte nie Verbündeter sein in diesem Schauen-Sie-mal-was-ich-alles-so-habe-Spiel. Schmuckschatullen brauchen Intimität! Ich kann nicht gut auf einer gemusterten Tagesdecke sitzen und mir Juwelen anschauen und Applaus spenden. Schmuck gehört getragen zur Freude aller oder ausgestellt in Vitrinen, zum Träumen präsentiert für vorbeilaufende Passanten. Er gehört gut behütet in Schachteln und Etuis und soll die Trägerin glücklich machen, egal ob am Hals oder in ihrer Erinnerung. Der Ausspruch »Das ist ein Erbstück meiner Mutter« macht mich oft eher traurig. Etwas aus der Erbmasse bedeutet eben auch, dass ein Erblasser sterben musste. Warum Menschen so gerne erben wollen, ist mir unbegreiflich. Ich will mit Menschen, die ich liebe, so lange leben, wie es eben geht, nicht mehr und nicht weniger. Wenn das Letzte, was an sie erinnert, ihre Hinterlassenschaft ist, ist es keine wirkliche Freude. Es gibt unzählige Geschichten von Menschen, die besser gemeinsam den Verlust eines Menschen betrauern sollten, anstatt sich in Erbstreitigkeiten aufzureiben.
    Meine Frau Maysenkaiser lebte in Violett, allein und im Gestern. Ich habe nie mehr eine Frau getroffen, die so sehr in der Erinnerung an die guten alten Zeiten weilte wie sie. Die Anfertigung stellte sich beim Hausbesuch als Umarbeitung eines Mantels heraus und, falls noch möglich, eine Neuanfertigung eines fliederfarbenen Kleides. In der Regel habe ich solche Aufträge nie angenommen. Dieser Nachmittag hat sich fest in meine Erinnerung gebrannt: Da war der Duft ihres Parfüms, Mitsouko von Guerlain. Und auch das Rascheln des gefalteten Seidenpapieres ist mir bis heute im Gehör. Die in Kästchen verpackten Erinnerungen waren fein säuberlich verstaut. Die aufbewahrten Zeilen des Absenders zeugten von der Wichtigkeit dieser kleinen Nachrichten und der Kraft der Worte, die wie ein Echo in ihr nachhallten. Vielleicht hatte mich das Leben an jenem Tag nur aus einem Grund an diesen Ort geschickt. Ich sollte stiller Bewunderer, Zeitzeuge sein für die Fülle und Zuneigung, die sie in ihrem Leben in Form von Schmuck erhalten haben mochte. Es hatte etwas sehr Rührendes, wie sie in ihrer gerecht verteilten Fülle in Miederwäsche und -hemdchen alle Türen ihrer Erinnerung auf einmal aufriss, um mich daran teilhaben zu lassen. Wie sie mir so viel Vertrauen schenken konnte, war mir unbegreiflich. Wo hatte sie nur gelernt, so zu vertrauen? Ich bin sicher der Typ Mensch, der gerne erzählt und auch als recht kommunikativ zu bezeichnen wäre. Ich weiß jedoch, wann ich zuhören und Raum geben muss für die Geschichten des Gegenübers. Es ist wichtig, Menschen Zeit zu geben, damit sie ihr Herz öffnen können und eben auch die Möglichkeit haben, Gelebtes zu verarbeiten.
    Meine Frau Maysenkaiser öffnete ihre Kisten und Schatullen und

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