Apocalypsis 1 (DEU)
beiden Zugängen.
Laurenz hatte im Moment wenig Sinn für die wechselvolle Geschichte des geheimen Ganges, die aus den schimmelbefallenen Mauern sickerte und die Luft schwerer machte. Er eilte durch das enge Halbdunkel, das nur alle paar Meter durch schmale Lichtschlitze erhellt wurde, und fluchte leise, als er sich einmal die rechte Schulter an einem Mauervorsprung stieß.
In der Engelsburg angekommen, verschloss er sorgfältig die Tür und wandte sich nach links in ein steiles, enges Treppenhaus. Laurenz eilte die Treppen hinab. Er war nicht zum ersten Mal hier; er kannte den Weg und wusste auch, wie er die Touristenströme vermied, die um diese Tageszeit die Burg auf allen fünf Ebenen fluteten. Bewacht vom Erzengel Michael hoch über der Burg wälzten sie sich die spiralförmige Rampe im untersten Geschoss hinauf zu den ehemaligen Kerkern und den Lagerräumen für Weizen und Öl, ergossen sich in den Cortile dell’Angelo und zogen dann lachend, fotografierend und Cola trinkend weiter hinauf in den vierten Stock mit den prunkvoll ausgestatteten Sälen und der Schatzkammer. Kaum jemand von ihnen ahnte, welche Geheimnisse die Engelsburg heute immer noch barg.
Laurenz begegnete auf seinem Weg nach unten nur einmal einigen versprengten amerikanischen Jugendlichen, die ihn jedoch nicht erkannten und lieber Zungenküsse übten. Zügig und trotz seiner guten Kondition etwas atemlos erreichte Laurenz schließlich das Erdgeschoss. Durch eine unscheinbare Tür, zu der der zweite Schlüssel des Schweizergardisten passte, schlüpfte er nach draußen.
Mario, sein Chauffeur, wartete wie verabredet am östlichen Ausgang der Engelsburg in seinem privaten schwarzen Alfa Romeo 156 älteren Baujahrs. Als Laurenz sich eilig in den Fond setzte, erschrak der junge Römer mit der modischen Sonnenbrille jedoch über den Gesichtsausdruck des Mannes, der wenige Stunden zuvor noch den Namen Johannes Paul III. getragen hatte.
»Mein Gott, Heiliger Vater, Sie sehen aus, als ob sie vor dem Leibhaftigen geflohen wären!«
»Fahren Sie, Mario«, erwiderte Laurenz nur matt.
»In die Wohnung, wie besprochen?«
»Si.«
Laurenz war dankbar, dass sein Chauffeur sich ohne weitere Fragen in den römischen Mittagsverkehr einfädelte. Er vertraute dem zweiunddreißigjährigen Römer mehr als manchem Kardinal der Kurie und hatte sich in den vergangenen Jahren immer auf ihn verlassen können, wenn er den Vatikan inkognito zu verschwiegenen Verabredungen mit Politikern, Industriellen und Vertretern anderer Religionsgemeinschaften verlassen musste. Marios alter Alfa mit den getönten Scheiben, dem römischen Kennzeichen und dem Fanschal des AS Roma auf der Hutablage war ohnehin unauffälliger als der offizielle Mercedes mit dem Kennzeichen SCV-1 für Stato della Città del Vaticano.
Mario war auch der einzige Mensch im Vatikan, der das Ziel ihrer Fahrt in San Lorenzo, dem 3. Municipio Roms, kannte, denn er hatte die unauffällige Drei-Zimmer-Wohnung in dem quirligen Studentenviertel vor vier Jahren als Strohmann gekauft. Das Geld dazu stammte aus dem Privatvermögen des Papstes.
Mario achtete darauf, ob sie verfolgt würden, wechselte oft die Spur und schwamm unauffällig im Verkehr mit. Nach etwa zehn Minuten bog er unvermittelt scharf rechts in ein schmuddeliges Parkhaus ab. Im dritten Stock parkte er den Wagen, stieg aus und gab Laurenz schließlich ein Zeichen, dass die Luft rein war. Wie eingespielt wechselten die beiden den Wagen und verließen das Parkhaus drei Minuten später mit einem japanischen Kleinwagen.
»Sie müssen entschuldigen, Heiliger Vater, das ist der Wagen meiner Cousine Vittoria. Einen anderen konnte ich so schnell nicht auftreiben.«
»Machen Sie sich keine Gedanken, Mario. Ich würde auch auf einer Vespa mitfahren, wenn Sie das für sicherer hielten. Haben Sie irgendwas bemerkt?«
»Nein, Heiliger Vater. Wir werden nicht verfolgt.«
Laurenz setzte eine Sonnenbrille auf und starrte aus dem Fenster. Um ihn herum tobte das italienische Leben, der Verkehr floss nur noch zäh. Ganz Rom schien sich jeden Tag zur Mittagszeit zu verabreden, gleichzeitig alle verfügbaren Autos zu benutzen. Vespas mit Jugendlichen rasten halsbrecherisch zwischen den Lücken hindurch, die Trattorie füllten sich mit Touristen, Geschäftsleuten und Frauen mit großen Sonnenbrillen und den neuesten Handtaschen. Laurenz entspannte sich ein wenig.
»Wie geht es Ihrer Frau, Mario?«
» Beh . Sehr gut, Heiliger Vater. Sie beschwert sich über
Weitere Kostenlose Bücher