Apocalypsis 1 (DEU)
einen Caffé con panna zu trinken, der in einer Capuccinotasse mit einer Faust frischer geschlagener Sahne serviert wurde. Peter Adam kam täglich in die Bar Sant’Eustachio, wenn er in Rom war. Für ihn war diese Bar ein magischer Ort mit dem besten Caffé der Welt. Außerdem lag sie in der Nähe des italienischen Senats und war der ideale Ort, um die richtigen Leute zu treffen, ein paar verschwiegene Insider-Informationen abzugreifen oder einfach nur den Gerüchten und dem munteren Tratsch zu lauschen, an dem sich die Römer gegenseitig erkannten.
Obwohl Peter Adam in Hamburg lebte, verbrachte der fünfunddreißigjährige Journalist mehrere Wochen im Jahr in der Ewigen Stadt. Eine Reihe von kirchenkritischen Enthüllungsartikeln hatte ihm den Ruf als Vatikanexperte und eine Festanstellung bei einem großen Hamburger Nachrichtenmagazin eingetragen, das ihn mit Beginn des Konklaves nun auch als Korrespondent nach Rom geschickt hatte.
Peter Adam wusste, wie man sich in Rom zu bewegen hatte und wie wichtig es in dieser Stadt war, eine bella figura , eine gute Figur abzugeben. Er trug Jeans, ein tailliertes weißes Hemd und ein blaues Jackett nach dem neuesten Schnitt. Dazu hellbraune Budapester und natürlich die passenden Socken. Kein Schmuck außer der Jaeger-LeCoultre am linken Handgelenk. Schlecht gekleidet zu sein galt in Rom als Todsünde und versperrte manche Tür, noch bevor man angeklopft hatte. Kleidung war in Rom ein festgelegter Code, der über Wohl und Wehe des Erfolgs entscheiden konnte. Peter Adams Outfit signalisierte in diesem Fall, dass er entweder Medienanwalt oder Journalist war, beides jeweils erfolgreich. Da seine blonden Haare und sein sanftes norddeutsches Gesicht ihn nicht als Römer durchgehen ließen, blieb nur ausländischer Journalist. Das zusammen mit seinem Aussehen und seinem nahezu akzentfreien Italienisch sicherte ihm das Interesse der anwesenden Senatoren und das Wohlwollen ihrer Frauen. Und darauf kam es in Rom schließlich an.
Im Moment galt Peter Adams Interesse aber etwas ganz anderem. Er stand direkt vor der monströsen Kaffeemaschine und versuchte zu ergründen, wie zum Teufel der alte Barista , der von allen Blicken verborgen mit Tassen, Löffeln und Siebträgern klapperte, diesen köstlichen Kaffee erzeugte. In über fünfzehn Jahren hatte Peter nur herausfinden können, dass der Alte den Caffé zusammen mit dem Zucker aufbrühte. Natürlich konnte man seinen Caffé auch ungesüßt bestellen, aber das galt als extrem bizarr. Schließlich war der Kaffee nur eine koffeinhaltige Methode, Zucker zu verflüssigen.
»Wird langsam Sommer«, versuchte Peter den Barista, der auch Stammgäste niemals grüßte, in ein Gespräch zu verwickeln.
» Eh. Era ora – wurde auch Zeit«, knurrte der Alte bloß und reichte Peter seinen Caffé con panna .
Während Peter seinen Espresso mit Sahne löffelte, beobachtete er eine junge Frau in einem aufregenden Kostüm. Die klassische Nase und wie sie den kleinen Finger beim Reden abspreizte, wies sie als Römerin aus. Anfang dreißig, vermutete Peter. Tochter aus reichem Hause, Jurastudium, drei Fremdsprachen, gut im Bett und sehr, sehr zickig. Alter römischer Patrizieradel.
Sie hatte ihn bemerkt, und hin und wieder streiften sich ihre Blicke. Peter überlegte, ob er sie ansprechen sollte, als ihm aufging, wie ähnlich sie Ellen war. Ellen, die er auch oft hierher geführt hatte. Ellen, die Rom ebenso geliebt hatte wie er. Ellen, die nun tot war, einfach tot. Nur Rom existierte immer noch und würde ewig weiter existieren. Peter wandte sich abrupt um und schlug den Corriere della Sera auf , der auf den ersten drei Seiten wie schon in der ganzen letzten Woche über die Katastrophe auf der ISS berichtete. Die Schreckensmeldungen und apokalyptischen Bilder in den Nachrichten rissen nicht ab. Das verheerende Erdbeben in Neuseeland, die Finanzkrise in Europa, die Aufstände und Bürgerkriege in Nordafrika, der Tsunami und die Nuklearkatastrophe in Japan und schließlich die Havarie der ISS. Als müsse die Menschheit dringend einsehen, dass sie endgültig am Abgrund stand.
Und nun der Papst. Sämtliche Zeitungen berichteten über den Rücktritt, das mysteriöse Verschwinden des Papstes und den tragischen Unfalltod seines Privatsekretärs. Die Boulevardpresse spekulierte ungeniert über Zusammenhänge mit der ISS-Katastrophe und über mörderische Verschwörungen im Vatikan. Peter wusste von den Kollegen in der Hamburger Redaktion, dass die
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