Apocalypsis 1 (DEU)
Mit siebenundvierzig Jahren war Duncker noch sehr jung für sein hohes Amt. Der gutaussehende Monsignore mit einer Vorliebe für Maßanzüge, edle Restaurants und moderne Kunst galt als Frauenschwarm in Rom und wurde von der italienischen Boulevardpresse gerne mit George Clooney verglichen. Nach außen weltoffen und ein beliebter Talkshowgast, war der hochintelligente Analytiker privat eher zurückhaltend und in Kirchendingen sogar äußerst konservativ. Als Theologiestudent hatte er den Kartäusern beitreten wollen, dem strengsten aller katholischen Orden, in dem absolutes Schweigegebot galt. Laurenz, der damals sein Doktorvater war, hatte ihn nach Rom an die Glaubenskongregation, der Nachfolgebehörde der Heiligen Inquisition, berufen und ihn ein Jahr später zu seinem Privatsekretär ernannt. Er schätze Dunckers diskrete und reibungslose Art, ihm den lästigen Büroalltag vom Leib zu halten, Interviewanfragen abzuwimmeln, E-Mails zu beantworten, verschwiegene Treffen zu organisieren und den Kontakt zu den verschiedenen Schaltzentren der Kurie zu halten. Und zu gewissen Kreisen, die im Verborgenen die Geschicke der Welt lenkten. Vor allem aber schätze Laurenz, dass Duncker schweigen konnte. Eine höchst seltene Eigenschaft im Vatikan.
»Der Kardinal Camerlengo erwartet Sie im Empfangszimmer«, sagte Duncker. »Ihr Gepäck ist bereits im Wagen verstaut, der Chauffeur wartet im Hof. Ein unauffälliger Wagen mit römischem Kennzeichen, wie Sie es angeordnet haben. Kloster Montecasino erwartet Sie.«
»Sehr gut.« Laurenz straffte sich. »Dann wollen wir mal, nicht wahr?«
Neben der Privatkapelle verfügte das Appartamento , die vierhundert Quadratmeter große Privatwohnung des Papstes, über fünf Zimmer und einen großzügigen Empfangsraum. Die Einrichtung war schlicht, gediegen und teuer. An den Wänden gelegentlich ein Giotto oder Tintoretto aus der Sammlung seiner Vorgänger. Dazwischen einige Privatfotos von Laurenz, einige davon zeigten ihn mit seinen Eltern und seinen beiden Geschwistern in Duisburg. Inzwischen lebte nur noch sein jüngerer Bruder.
Die Papstwohnung lag in der Terza Loggia , im dritten Stock des Apostolischen Palastes, gleich neben dem Petersdom. Ein Stock darunter befanden sich die Amtsräume, ein Stockwerk höher, unter dem Dach, die Wohnung des päpstlichen Privatsekretärs. Auf dem Dach des Apostolischen Palastes erstreckte sich eine begrünte Terrasse, auf der sich Laurenz vor allem abends gerne aufgehalten und den Blick über die Ewige Stadt genossen hatte.
»Tun Sie mir den Gefallen, Alexander, und erlösen Sie mich von Ihrem empörten Schweigen«, seufzte Laurenz.
Duncker blieb abrupt stehen und atmete durch. »Sie werden Ihre Gründe haben, Heiliger Vater. Sowohl für den Rücktritt als auch für Ihr Schweigen. Das muss ich respektieren.«
Laurenz legte seinem Sekretär die Hand auf die Schulter. »Ich möchte Ihnen für alles danken, Alexander. Darf ich Sie um einen letzten Gefallen bitten?« Laurenz zog einen kleinen Luftpolsterumschlag aus einer Jackentasche. Auf dem Umschlag stand in der ordentlichen und wie gehämmerten Druckschrift des Papstes eine Adresse außerhalb von Rom. »Würden Sie diesen Brief für mich überbringen? Persönlich. Und sofort.«
Laurenz legte Duncker den Umschlag in die Hand wie etwas Zerbrechliches und Kostbares. Dabei hielt er Dunckers Hände noch einen Moment fest.
»Am besten, Sie nehmen den Helikopter.«
Duncker warf einen Blick auf die Adresse, zog eine Augenbraue hoch.
»Das ist gegen die Anweisungen.«
»Deswegen bitte ich Sie ja um einen Gefallen.«
»Darf ich fragen, was der Umschlag enthält?«
Statt einer Antwort blickte Laurenz ihn nur unverwandt an. Ein Blick so schwer wie ein Fels. Seufzend steckte Duncker den Brief ein.
»Haben Sie sonst noch einen Wunsch, Heiliger Vater?«
»Nein. Das war alles. Gott segne Sie, Alexander.«
Kardinal Giovanni Sacchi erwartete den Papst bereits im Empfangszimmer. Bis ins Mittelalter hatte dem päpstlichen Kämmerer die Aufsicht über die päpstlichen Finanzen oblegen. Inzwischen hatte der Camerlengo nur noch eine Aufgabe: das Amt des Papstes während der Sedisvakanz zu verwalten. Üblicherweise nach dem Tod des Papstes. Zu dieser Aufgabe gehörte es, den Siegelring des verstorbenen Papstes zu zerstören und seine Privatgemächer zu versiegeln. Bis zur Wahl eines neuen Papstes hatte er dann das höchste Kirchenamt inne.
Sacchi war ein mürrischer, schweigsamer Mann Ende Siebzig. Er hatte
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