Apocalypsis 3.10 (DEU): Die Reinen Orte. Thriller (Apocalypsis 3 DEU) (German Edition)
weiter an seinen Bruder.
»Wissen Sie, was das für ein Objekt ist, da in der Mitte?«, fragte Bühler.
»Das ist ein Tesserakt«, sagte Peter Adam. »Ein vierdimensionaler Würfel in entfaltetem Zustand. Wer hat diese Zeichnung gemacht?«
»Meine Schwester Leonie.«
Peter Adam wirkte überrascht. »Sie haben noch eine kleine Schwester?«
»Sie ist achtunddreißig … war. Sie ist tot.«
»Wann hat sie dieses Bild gemacht?«
»Vor etwas über einer Woche, denke ich.«
»Wie ist Ihre Schwester gestorben?«
»Flugzeugabsturz. Vor einer Woche.«
Bühler sah das Entsetzen in den Augen des Mannes neben sich. Auch sein Bruder auf dem Rücksitz stöhnte auf.
»Meine Frau und meine Tochter waren ebenfalls in der Maschine«, sagte Peter Adam.
Bühler schwieg. Starrte auf Leonies Zeichnung, ihren letzten Traum, den sie für ihn gemalt hatte, und kämpfte gegen die Tränen an. Auch die beiden nackten Männer sagten nichts. Bühler merkte, dass er immer noch die Waffe in der Hand hielt. Er legte sie zurück ins Handschuhfach und stieg aus. Starrte hinauf zum Mond, der gerade hinter den Pinien versank, und versuchte, irgendeinen Sinn in allem zu erkennen. Im Laufe der Jahre hatte er viele absurde Situationen erlebt, Zufälle, die ihm nie jemand glauben würde. Doch dies hier war mit Abstand die unwahrscheinlichste Koinzidenz seines Lebens. Leonies Abschiedsgruß und Botschaft an ihn, weiterzuleben. Bühler stöhnte und setzte sich dann zurück ins Auto.
»Meine Schwester Leonie hatte das Downsyndrom«, erklärte er, ohne einen der Zwillinge anzusehen. »Ich habe sie in den letzten Jahren nicht oft gesehen. Sie lebte in einer Einrichtung bei Frankfurt. Aber sie hat mir oft Bilder geschickt. Ihre Träume. Manchmal schöne Träume, aber oft auch Träume, die ihr große Angst machten. Sie hat sie mir immer geschickt, jeden einzelnen. Es müssen Tausende sein. Dieser hier war ihr letzter. Sie wollte unbedingt einmal nach Rom, den Papst sehen. Und sie wollte unbedingt mit einem Flugzeug fliegen. Ich konnte sie nicht in Frankfurt abholen, weil ich … ach, ist auch egal. Ich hab ihren Betreuer großzügig dafür bezahlt, dass er sie begleitet. Ich habe auch ihn in den Tod geschickt.«
»Es ist nicht Ihre Schuld«, sagte Nikolas Adam hinter ihm. Ja, das war ihm klar. Half ihm aber nicht.
»Scheiß drauf«, sagte er. »Seit einer Woche schlage ich mich in Rom mit den Behörden rum, mit der Presse und dem Mitleid von wildfremden Menschen. Und diese italienischen Arschlöcher sind sogar unfähig, Leonies Leiche zu bergen. Also … Sie sagten was davon, dass Sie meine Hilfe brauchen. Was meinen Sie damit?«
»Was zum Anziehen wäre schon mal ein Anfang«, sagte Nikolas Adam von hinten.
»Und dann müssen wir den Tesserakt finden und wieder verschließen«, ergänzte sein Bruder.
»Warum?«
»Weil die Welt sonst untergeht. Er ist so etwas wie die Büchse der Pandora.«
Das leuchtete Bühler sogar irgendwie ein. Absurde Situationen brachten ihre eigenen Regeln mit, das hatte er gelernt. Auch, dass es tödlich sein konnte, am Plan festzuhalten, wenn sich sämtliche Bedingungen änderten. Selbst wenn der Plan gewesen war, sich umzubringen. Das lief ja nicht weg. Sterben konnte er auch noch später.
»Hat der Flugzeugabsturz was damit zu tun?«
»Ja.«
Bühler startete den Wagen. »Bis wir in Rom sind, haben Sie Zeit, mir zu erklären, warum Sie nackt sind, wo Sie gerade herkommen und warum die Welt untergehen sollte. Falls ich Ihnen glaube, werde ich Ihnen helfen.«
»Es wird nicht einfach sein, uns zu glauben«, wandte Peter Adam ein.
»Überlassen Sie das mir. Und sprechen Sie verdammt noch mal langsam. Ich bin Schweizer.«
XLVIII
24. Juli 2011, Abu Ghosh, Israel
D er Schock konnte nicht größer sein. Gerade hatte Maria gesehen, wie Peter durch die Öffnung aus blauem Licht verschwunden war und wie die Wand unmittelbar darauf wieder undurchdringlich wurde. Sie wollte sich nach Bar-Kleophas umwenden, der noch ein Amulett besaß, als sie sah, wie sich an der gleichen Stelle in der Wand bereits eine neue kreisrunde Öffnung bildete – und Peter zurückkehrte. Ein einziger Augenblick nur war vergangen. Ein Wimpernschlag. Aber der Mann, der nun durch den Vorhang aus blauem Licht trat, war in diesem einen Moment um Jahrzehnte gealtert. Weißes, kurz geschnittenes Haar und weißer Vollbart. Er trug auch andere Kleidung, Jeans und Poloshirt, und wirkte wie ein kerniger Senior, der zu viel in der Sonne gelegen und sich
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