Apollonia
sondern aufrecht und stolz wie er hinter ihm herliefen auf genagelten Schuhen in ihren langen, dunklen Kleidern und Schürzen aus bedrucktem Leinen mit den schweren Haarknoten, und dann vielleicht auch noch die Sonne schien, dann war es ihm aus tiefster Seele recht, und er freute sich, dass alles so gut geraten war. Mein Urgroßvater Gustav marschierte voller Stolz mit seinen prächtigen Kühen und seinen drei schönen Töchtern durch das Dorf wie Scholmerbachs Preußen und Gloria.
Ich lag auf dem roten Schesselong, und die Sonne strahlte unbarmherzig durch den Zwetschgenbaum, und ich dachte sehnsüchtig an die schöne schwarze Nacht, in der ich mich mit einem Kirmeskerl versteckt hatte, der von der Struderlehe gekommen war. Aber das durfte ich keinem sagen.
Schon gar nicht meiner Oma Apollonia, die von den Freuden der Liebe rein gar nichts verstand und sagte, ein Mann brauche nicht schöner zu sein als ein Affe, und man solle den einen mit dem anderen kaputtschlagen, und die Kerle seien nur da, um die armen Frauen zu schubsen und totzuärgern und für sonst gar nichts.
In ihrem Sinne hatte sie natürlich recht, denn sie hatte ja den Dapprechter Gustav gehabt, der sie nur schubste, und dann meinen Großvater Klemens, der sie kaputtgeärgert hatte, und dabei war sie doch die Schönste weit und breit gewesen, und alles hatte sich überhaupt nicht gelohnt für sie, und da meinte sie nun, damit mir nicht dasselbe passiert, solle ich mir am besten mit keinem was anfangen.
– Kennst du einen, kennst du alle.
Aber keiner war wie Jim Larry David Logan. Er war nicht aus Linnen. Er war nicht aus Pfeifensterz. Er war aus Minnesota, aus Amerika. Ich musste immerzu denken an Jim Larry David Logan und an seine braunen Augen und an das, was er mir auf den Bierdeckel geschrieben hatte, nämlich, dass er mich abholen wolle am nächsten Donnerstag … und das Stückchen vom Bierdeckel war in das Buch für meine Großmutter Apollonia hineingefallen und brachte mir alles durcheinander.
Wie sollte ich alte Geschichten weiterschreiben, wenn dieser Name auf dem Bierdeckel mich so zwingend davon ablenkte und schon die geschwungenen Linien ganz anders in die Pappe gedrückt waren als die deutschen Buchstaben eines herkömmlichen Kirmessäufers. Dieser Pappdeckel … war so … besonders … dass sah man gleich … ich musste ihn aufbewahren, vielleicht in einem schönen Kästlein … Jim hieß sicher James, und ich schrieb Marie und James, Jim und Marie und probierte dann: Marie und Jimmy, Jimmy und Marie und schrieb dann: Love und malte lauter Herzen darum.
Dann merkte ich, was ich getan hatte, und erschrak. Ich hatte das Buch vom Leben meiner Großmutter verdorben und verschmiert und verkritzelt. Mir fehlte jeglicher Ernst, und ich kam dauernd vom Thema ab. Aber ich konnte die Seiten ja herausreißen.
Ich schielte zu meiner Oma herüber, die am Tisch saß und in der Zeitung blätterte und im Geiste die Gemächer der Königin Beatrice betrat und mit dem deutschen Prinzen Claus hinaus in den Schlossgarten sah oder sich zwei Seiten weiter nach England begab und in den Buckingham-Palast schritt, um sich mit Königin Elisabeth beim Tee über das Unglück ihrer armen Schwester Margaret mit Lord Snowdon und die Folgen ihrer Trunksucht auszutauschen.
Meine Großmutter brauchte Könige und Königinnen, Könige und Königinnen, ein paar Prinzen und Prinzessinnen, Grafen und Gräfinnen taten es auch, dann aber nur immer wieder: Könige und Königinnen.
Dabei hatte sie selber einen Sägemehlsprinzen von einem hölzernen Königshof, aber dass es ein Königshof war, hat sie nie wirklich sehen können.
In Scholmerbach gab es einen hölzernen Königshof, der hatte eine uralte Königin, die herrschte über alle fingerlosen Zimmermänner und hatte über allem das Sagen. Sie war schmal und krumm und buckelig geschafft und sah im Alter ein wenig aus wie eine ewig in der Schürze steckende, schwarz gekleidete Krähe. Sie hieß Charlotte und war die Mutter von Dagobert, Balduin, Konrad, Ewald, Hannes, Klemens, Rosalia, Hedwig, Traudel, Emma und Grete.
Charlotte war gut zu den Armen und schmiert jedem ein Schmalzbrot und beherbergte die Hausierer, und sie schuftete bei Tag und bei Nacht, und ihre Geschäfte liefen prächtig, und sie wusste hundertprozentig, dass man dem Gendarm aus Wällershofen einen Schnaps und einen Kaffee geben musste, um ihn bei Laune zu halten. Charlotte wurde verehrt von allen. Ihr Mann Josef auch, aber der fiel neben
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