Arabiens Stunde der Wahrheit
die wichtigste Ortschaft der Kabylei, nach Tizi Ouzou, fahren würde. Etwas zögerlich stimmt er zu, denn es ist bekannt, daà die dort lebenden Berber in instinktiver Ablehnung der arabisierten Behörden verharren und den Respekt vor ihrer eigenen Kultur fordern. Am Vorabend hatte ich einen seit langem bekannten Universitätsprofessor aufgesucht, der der offiziellen Kabylen-Partei »Front der sozialistischen Kräfte« angehört. Er beklagte die Abwesenheit ihres historischen Führers Ait Ahmed, der im Aufstand gegen die französische Fremdherrschaft von der ersten Stunde an eine entscheidende Rolle spielte und jetzt in Marokko Asyl gesucht hat.
Bei aller Frontstellung gegen die ehemaligen Kolonisten sind die Berber Algeriens durch die lange französische Präsenz nachhaltig geprägt.Den strengen Islamisten sind diese Nachkommen der Numidier, überhaupt alle Kabylen, die angeblich in prä-islamischen Bräuchen verharren, zutiefst suspekt. Auch bei den Kader-Politikern der Nationalen Befreiungsfront und der ihr eng verwandten Nationalen Befreiungsarmee begegnet man den Berbern mit MiÃtrauen. Die Offiziere, die in Algier den Ton angeben, betrachten die Weigerung der meisten Kabylen, sich total arabisieren zu lassen, und ihre Forderung, die angestammte Sprache »Tamazight« zu erhalten, fast als einen Akt nationalen Verrats. Der Professor antwortete auf diese Verdächtigung mit deutlichen Worten. Die einzige fleiÃig arbeitende Schicht in Algerien seien doch die Berber. Die Araber seien von Natur aus faul, und man könne sie nur mit dem Knüppel regieren.
Schon im weiten Umkreis von Tizi Ouzou ist die Spannung zu spüren, die hier seit der Niederschlagung der Partisanenbewegung GIA nie nachgelassen hat. Im Marktviertel vermisse ich auf den Reklame- und StraÃenschildern die seltsamen Zeichen der Kabylenschrift, die man dort einst zugelassen hatte und nun durch die arabische Schrift ersetzt. Fast an jeder StraÃenkreuzung hat die Darak, die Gendarmerie, ihre blau angestrichenen StraÃenpanzer stationiert, und die Armee baut befestigte Stellungen aus. Als ich Raschid auffordere, in das nahe Djurdjura-Gebirge zu fahren, dessen Felskrone sich am Horizont abhebt, lehnt er ab und drängt zum Aufbruch nach Algier. Jeder Versuch, von der Autobahn abzuzweigen, die Tizi Ouzou mit der relativ nahen Hauptstadt verbindet, scheitert an der höflichen, aber energischen Weigerung irgendwelcher Sicherheitsorgane. Am folgenden Tag erfahre ich aus der Zeitung El Watan , daà kurz nach meinem Besuch sowohl in Tipasa als auch in Tizi Ouzou Sprengsätze der islamistischen Rebellen hochgegangen sind. Die Anschläge gelten den Soldaten und Polizisten des ÂRegimes, aber die meisten Opfer hat die Zivilbevölkerung zu beÂklagen.
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Ineinem so verkapselten Land bin ich überrascht, daà die Berichterstattung der Presse eine relative Ausdrucksfreiheit genieÃt. Der Blätterwald ist beachtlich. So berichtet die Zeitung Liberté in groÃer Aufmachung auf der ersten Seite über einen terroristischen ÂAnschlag, der bei Jijel acht Soldaten das Leben gekostet hat. AcÂtualité beschwert sich über die amtliche Energieverschwendung der Behörden. El Watan tadelt das Vorgehen der Polizei gegen illegale StraÃenhändler in Tizi Ouzou. Das gleiche Blatt erhebt ÂAnklage gegen die Veruntreuungen und die schamlose Spekulation, die den Neubau von Wohnblocks belasten. Besondere Aufmerksamkeit wird den zunehmenden Streikbewegungen gewidmet, die neuerdings auf die Ãrzte und die Veterinäre übergegriffen haben.
LâExpression spricht von einer Heiligen Allianz der konserÂvaÂtiven Monarchien, die, gestützt auf Saudi-Arabien, die Emire der Golfstaaten und Qatars sowie den König von Bahrein und auch die Âmarokkanische Dynastie in ihre reaktionäre Abwehrfront gegen ÂReformen und Revolution integrieren möchte. Während El Mujahid , das inoffizielle Regierungsorgan für die Versöhnungsbemühungen des Präsidenten Bouteflika und eine angebliche Steigerung der industriellen Produktion im vergangenen Jahr lobende Worte findet, schreckt die Zeitung LâActualité nicht davor zurück, mit Âfolgender Schlagzeile aufzumachen: »Die Regierung in Atemnot â StraÃenunruhen, Mangel an Waren, maÃlose Steigerung der Preise und der Spekulation.« In einem Kasten wird hinzugefügt: »Die
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