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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Minister haben die Erwartungen der Algerier bitter enttäuscht. Sie sind bei dem Versuch einer Anhebung der sozialen und wirtschaftlichen Lebensbedingungen gescheitert.« Zwischen den Zeilen kann der aufmerksame Leser entdecken, daß die Offiziers-Kamarilla zwar von dem Libyer Qadhafi eine erbärmliche Meinung hat, aber in der Sorge um die eigene Stabilität den Verbleib des Beduinensohns an der Spitze der »Jamahiriya« seinem Sturz vorgezogen hätte.
    Algerien hat sich immer noch nicht von den Traumata seines langen Befreiungskampfes gegen Frankreich erholt. Da tauchen Gespensteraus der Vergangenheit auf. Meine Verwunderung ist groß, als plötzlich eine heftige Polemik über die Person Ahmed Ben Bellas ausbricht. Dieser Mann mit dem Löwenkopf, der beansprucht, den Aufstand des 1. November 1954 vorbereitet und ausgelöst zu haben, hat sich im Alter von 90 oder 94 Jahren – genau weiß er das nicht – gebieterisch zu Wort gemeldet. Die offiziellen Regierungsorgane von Algier haben eine gehässige Kampagne gegen den er­sten Präsidenten der Republik entfesselt, der nur drei Jahre lang – von 1963 bis 1965 – die Gestaltung seines Landes zu einem sozialistischen System »sui generis« ausrichtete und sich in der ­Außenpolitik als revolutionärer »Tiersmondist« gebärdete. Am 19. Juni 1965 wurde er von den Verfügungstrupps des Oberst Boumedienne auf heimtückische Weise verhaftet. Bis zum November 1982 verharrte er in einem algerischen Kerkerdasein, neben dem die Internierung in Frankreich wie ein Kuraufenthalt wirkte.
    Jetzt hat sich dieser immer noch rüstige Mann mit einer Philippika an sein Volk gewandt, um nicht nur das heutige Zwangsregime abzukanzeln, sondern auch mit seinen ehemaligen Gefährten der Befreiungsfront alte Rechnungen zu begleichen. »Le semeur de Fitna«, so macht ein Blatt der Hauptstadt auf, »Der Säer der Zwietracht«. Das Wort »Fitna« steht für ein Grundübel der islamischen Gemeinschaft, für die endlose Folge religiöser und politischer Spaltungen, die die koranische Gesellschaft seit dem Tod des Propheten heimgesucht hat.
    Ich muß an den Nachmittag 1981 zurückdenken, als ich den vor­übergehend in Frankreich lebenden »Zaim« Ben Bella in seiner Wohnung von Neuilly besuchte. Es war unmöglich, nicht mit diesem athletischen Mann zu sympathisieren. Das pausbäckige Schlagersänger- und Sportlergesicht von einst war durch drei Jahre der Prüfung kantiger geworden. Am meisten beeindruckte mich die Heiterkeit, die Gelassenheit, die aus seinen großen Maghrebiner-Augen sprach. Er redete ohne Komplexe von seiner Entmachtung. Während der ersten, härtesten Jahre der totalen Isolation in den ­algerischen Gefängnissen habe man ihn wohl um seinen Verstand bringen wollen. »Aber sie haben mir nichts antun können«, betonte er.»Ich habe mich in meiner kahlen, winzigen Zelle jeden Tag einem eisernen Programm an Leibesübungen unterworfen, aber was mir tatsächlich erlaubt hat, einen klaren Kopf zu bewahren und mein Innenleben zu vertiefen, das war die Religion, die Gottergebenheit des Islam und der Koran, den man mir als einzige Lektüre gestattet hatte.«
    Â»Mysterium fidei« hätte man früher in der christlichen Welt gesagt, als man noch die Geheimnisse des Glaubens gelten ließ. Ben Bella war tatsächlich dem Kernproblem des Islam nähergekommen. Es werde immer eingewandt, so führte der ehemalige Präsident aus, der Koran sei vor 1400 Jahren offenbart worden. Aber die Sunna erlaube eine ständige Anpassung des ewigen, ungeschaffenen Wortes Allahs an die veränderten Umstände. Es gebe doch den »Ijtihad«, die fromme Bemühung des einzelnen und der Gemeinschaft um eine fortschrittliche Auslegung der heiligen koranischen Schrift.
    Seine Kritiker hat Ben Bella bei seiner jüngsten Proklamation aufs äußerste gereizt, als er erklärte, er sei zwar im algerischen Grenzgebiet geboren, aber seine Eltern seien beide Marokkaner gewesen, als ob die Zugehörigkeit zum Scherifischen Reich von Fez, Marrakesch und Rabat einen besonderen Adel gegenüber den geschichtslosen Algeriern verleihe.

    Befehlshaber der Gläubigen
    So sind wir also auf Umwegen nach Marokko gelangt, zum Ȋußersten Westen – Maghreb el aqsa«, wie das Scherifische Reich auf Arabisch genannt wird.

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