Arabiens Stunde der Wahrheit
jeder Kampfhandlung gegen Galiläa abhalten würde. Syrien hätte dabei eine hilfreiche Vermittlungsrolle spielen können.
All das war nunmehr Vergangenheit. »Die Israeli haben die Kontakte zwei Monate zu früh abgebrochen«, beteuerte der Vizeminister Syriens. Von Netanjahu hatte man in Damaskus keine hohe Meinung. Er besäÃe nicht das Format eines Begin oder eines Rabin. Er reagiere arrogant und unberechenbar. Die Meinung gewisser Experten, ein Friede Israels mit Syrien â wie einst mit Ãgypten â lasse sich eher mit einem Hardliner des Likud-Blocks erzielen als mit einem nachgiebigeren Sozialisten der Avoda-Partei, treffe im Hinblick auf den Golan bislang nicht zu. Dazu käme eine für Syrien völlig unerträgliche Forderung, nämlich die Auflösung der schiitischen Hizbullah des Libanon. Doch diese »Partei Gottes« sei inzwischen legalisiert und im Parlament von Beirut vertreten. SchlieÃlich hätten die Israeli das Verbot all jener palästinensischen Gruppierungen angemahnt, die auf syrischem Territorium tätig blieben und den Arafat-Kurs verweigerten. Dabei sei der schlimmste aller palästinensischen Terroristen, Abu Nidal, längst desLandes verwiesen, und das gleiche gelte für den Unruhestifter Ahmed Jibril.
Nicht nur im AuÃenministerium von Damaskus wurde tiefes Bedauern über die Passivität der Europäer geäuÃert. Vor allem die deutsche Diplomatie lasse zu wünschen übrig. Man trauerte in Damaskus zwei Männern nach, die die europäische Führungsfunktion der Bundesrepublik auf positive Weise verkörpert hätten, Hans-Dietrich Genscher und Franz Josef StrauÃ. »Sind die Europäer sich nicht bewuÃt, daà sie sich auf einen Wirtschaftskrieg mit den USA zubewegen?« fragte Omran. »Sie müÃten die amerikanischen Businessmen hören, wenn sie hier aufkreuzen, mit welcher Geringschätzung sie sich über ihre europäischen Konkurrenten äuÃern, ja sie gelegentlich als âºbastardsâ¹ bezeichnen.«
Omran bestätigte die guten Beziehungen seines Landes zur Islamischen Republik Iran. In diesem Zusammenhang entwarf er ein Schreckensszenario, das mich bei dem nüchternen, umgänglichen Mann aufhorchen lieÃ. Schon im Mai 1997 kündigte er eine kriegerische Aktion Amerikas im Verbund mit Israel gegen die Islamische Republik Iran an, deren geplante Verwirklichung durch das Team George W. Bush und Dick Cheney zehn Jahre später wohl nur durch den energischen Widerspruch der höchsten amerikanischen Militärs, der »Joined Chiefs of Staff« verhindert wurde. Der Vizeminister befürchtete, daà Marschflugkörper und schwere Artillerie der Fünften US-Flotte, die im Persischen Golf kreuzte, eines Tages die Erdölraffinerien und Verschiffungsanlagen der Iraner vernichten würden. Kampfflugzeuge würden von ihren schwimmenden Rollbahnen starten, um wirtschaftliche und strategische Ziele im Hinterland, vor allem die vermeintlichen Produktionsstätten der »iranischen Atombombe«, auszuradieren.
Die persischen Streitkräfte seien jedoch heute schon in der Lage, durch relativ hoch entwickelte Mittelstreckenraketen erhebliche Zerstörungen in den mit Washington verbündeten Emiraten am Golf und in der El-Ahsa-Provinz Saudi-Arabiens anzurichten. Welche zusätzlichen Komplikationen sich aus einer solchen KrisenÂspirale ergäben, sei noch gar nicht abzusehen. Nicht nur RuÃland würdeauf unerträgliche Weise brüskiert, womit Washington vielleicht leben könne, aber auf lange Sicht würde die kommende Weltmacht China auf den Plan gerufen, und deren Spielraum werde im anbrechenden neuen Jahrtausend unermeÃlich sein.
Der Vize-AuÃenminister war sich wohl der unkalkulierbaren ÂDimension seiner Prognosen bewuÃt geworden. Vielleicht war auch nur die angeborene arabische Freude an Verschwörungstheorien mit ihm durchgegangen. Zwei Stunden hatten wir uns immerhin unterhalten. Omran war keiner Frage ausgewichen und hatte mich auch nicht aufgefordert, die Spielregel »off the record« einzuhalten.
Im Netz des eigenen Clans
Im Juni 2000 starb Hafez el-Assad. Sein Sohn Bashar übernahm einen Monat später die Präsidentschaft der Arabischen Republik Syrien und das Amt des Generalsekretärs der regierenden Baath-Partei. In den seitdem verflossenen zehn Jahren hat das Regime seinen brutalen Zugriff gegen jede
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