Arabiens Stunde der Wahrheit
StraÃen und auf dem flachen Land die groÃe Mehrzahl der muslimischen Frauen längst zum sittsamen »Hijab« zurückfand, soweit sie ihn überhaupt jemals abgelegt hatte.
Toutounji erwartete mich bereits. Er stimmte zu, als ich von meinem Eindruck berichtete, die führende Baath-Partei â eingebettet in eine gefügige »Front des nationalen Fortschritts« â präsentiere sich zwar weiterhin als säkulare und sozialistische Bewegung, die schleichende Islamisierung habe jedoch seit meinem letzten Aufenthalt im März 1993 erhebliche Fortschritte gemacht. Sie stieà beim Regime auf keinen dezidierten Widerstand. Zwar war der Islam in der syrischen Verfassung nicht als Staatsreligion deklariert, wie das in so vielen arabischen Ländern der Fall ist. Es existierte kein Alkoholverbot, und in den Ausländerhotels stand sogar Schweinefleisch auf der Speisekarte.
Doch allmählich setzte sich der koranische Lebensstil mit seinem sittlichen Konformismus durch. Jene Bestimmung war auch längst wieder in Kraft, wonach das Staatsoberhaupt sunnitischer Muslim sein muÃte. Der gebürtige Alawit Hafez el-Assad hatte sich durch die »Fatwa« des obersten Mufti von Damaskus, der dem Präsidenten gefügig war, bestätigen lassen, daà er über die nötige Rechtgläubigkeitverfügte. Bevor wir uns nach einem vorzüglichen orientalischen Mahl trennten, gab mir Robert Toutounji den Rat, das Dorf El Qardaha im Alawiten-Gebirge südlich des Hafens Lattaqiya aufzusuchen, den Geburtsort des Präsidenten. Die Besichtigung dieser Pilgerstätte sei aufschluÃreicher für die wahren Verhältnisse des Regimes als so mancher diplomatische Rapport.
Durch malerische Felsschluchten fuhren wir am folgenden Tag dem Land der Alawiten entgegen. Olivenhaine und gelbblühende Büsche säumten die StraÃe. In der Hafenstadt des Nordens, die einmal der sowjetischen Flotte als Stützpunkt gedient hatte, hielten wir uns nicht länger auf. Zum Dorf El Qardaha war es nicht mehr weit. Wir folgten etwa dreiÃig Kilometer lang der Küste nach Süden und bogen östlich ins Gebirge ein. El Qardaha genoà die wohlwollende Förderung des Regimes. Die StraÃen waren breit ausgebaut, mit Blumenrabatten verziert. Die öffentlichen Gebäude, mit den überlebensgroÃen Bildern der »Dreifaltigkeit« â Hafez, Basil, Bashar â geschmückt, waren stattlicher als in anderen Flecken. Kurz nach der Einfahrt richtete sich der Blick auf eine groÃe Moschee mit grüner Kuppel. »Hier liegt die Mutter des Präsidenten begraben«, erklärte mein Begleiter. Ãber dem Portal des Gebetshauses fiel ein farbenprächtiges Fresko auf. Die Mutter Assads, NaâIsa, nach der der ÂSakralbau benannt war, erschien dort wie auf einem Marienaltar. Ãber dem ernsten Antlitz der »Genetrix« und dem weiÃen Kopftuch, das ihr Gesicht â wie bei den meisten Madonnenabbildungen â umhüllte, strahlte ein goldener Heiligenschein. Natürlich fehlte auch der berühmte ältere Sohn Basil nicht auf dieser Ikone. Er hielt den Kopf gebeugt und küÃte der GroÃmutter NaâIsa die Hand.
Auf dem Hügel, der El Qardaha überragte, war eine andere, noch gröÃere Moschee im Bau. Hier wollte Hafez el-Assad seinem Lieblingssohn Basil ein einmaliges Denkmal setzen. Die eigentliche Gruft war schon vollendet. Sie wurde mit edelstem Marmor ausgelegt. Die jungen alawitischen Grabeshüter der Baath-Partei gestatteten uns ohne Umschweife den Zutritt zu dem Sarkophag des Âtoten Helden, des »Batal«, der mit kostbaren grünen Tüchern bedecktwar. Die Schahada, das islamische Glaubensbekenntnis, und der Aufruf »Allahu akbar« waren darauf in silbernen Lettern eingestickt.
Die Wächter baten mich, meinen Namen in das Kondolenzbuch einzutragen. Sie wirkten fast wie Internatsschüler in ihrer einheitlichen Tracht â dunkle Hose, weiÃes Hemd und ein schwarzer Schlips. Doch die wirkliche Ãberraschung erwartete uns am Ausgang. Ein riesiges Gemälde war dort aufgerichtet. Da sah man den toten Basil in Galauniform auf einem weiÃen Pferd in den Himmel reiten. Auch sein Haupt war von einem Heiligenschein gekrönt. Fast so mystisch wie einst der Prophet Mohammed, als das Fabelwesen el-Buraq ihn von der el-Aqsa-Moschee in die Nähe Allahs entrückte, erhob sich der glorifizierte
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