Arbeit und Struktur - Der Blog
meine Empathie auf seltsamer Spur. Früher irgendwann hatte ich mir mal vorgestellt, der nahe Tod würde möglicherweise Haß auslösen, Haß auf die Welt, Neid auf die Überlebenden, vielleicht sogar den Wunsch, noch einmal Amok zu laufen und möglichst viele mitzunehmen. Tatsächlich hatte ich mal einen Text in diesem Sinne angefangen. Aber das Gegenteil ist der Fall.
Ich kann kein Käferlein mehr im Hausflur entdecken, ohne es auf den Finger zu nehmen und draußen auf einen Grashalm zu setzen.
Zur gleichen Zeit durchströmt mich diffuses Glücksgefühl, wenn eine Boulevardschlagzeile den Tod eines im Eis ertrunkenen Zweijährigen vermeldet. Es dauert ein paar Sekunden, bis mir einfällt, wie schlimm es für die Eltern ist. Aber für das Kind ist es das Beste.
Den oft und vermutlich zurecht kritisierten Satz, das Leben sei der Güter höchstes nicht, ich würde ihn jetzt unterschreiben. Was ist das größte Glück? Bewußtlos sterben, und ein unauffällig in den Nacken gehaltenes Bolzenschußgerät entspricht diesem Glück sonderbarerweise genau.
Klingt alles irgendwie inkonsistent, auch für mich selbst, was offensichtlich daher rührt, daß ich von zwei Positionen aus argumentiere; aus alter Gewohnheit noch aus der Position des Lebenden, der mit wachsender Rührung jede Äußerung belebter Materie betrachtet; zugleich aus der Perspektive, die das Ganze im Blick hat und sich nichts sehnlicher wünscht, als zum Ende zu kommen. Tatsächlich spüre ich mehrmals am Tag meine Perspektive umschlagen, manchmal im Minutentakt, was sehr anstrengend ist. Synthese findet nicht statt.
Eine ganz andere Frage, die sich Krebskranke angeblich häufiger stellen, die Frage “Warum ich?”, ist mir dagegen noch nicht gekommen. Ohne gehässig sein zu wollen, vermute ich, daß diese Frage sich hauptsächlich Leuten aufdrängt, die, wenn sie Langzeitüberlebende werden, Yoga, grünen Tee, Gott und ihr Reiki dafür verantwortlich machen. Warum ich? Warum denn nicht ich? Willkommen in der biochemischen Lotterie.
14.1. 2011 9:46
Traum: Ich will mit Marek eine Fahrradtour zu meinen Eltern machen. Zu spät fällt mir ein, daß Marek viel schneller fährt als ich. Wir müssen uns trennen. Im Haus meiner Eltern angekommen, packt meine Mutter mir zusätzliche Sachen in den Rucksack, denn jetzt soll es weitergehen zu meiner Großmutter [die tot ist]. Riesige Badelaken, zwei Paar Schlittschuhe usw. Viel zu viel Gewicht. Als ich alles Überflüssige wieder ausgepackt habe, ist der Rucksack leer.
Ich wünschte, meine Träume würden wieder etwas kryptischer.
15.1. 2011 17:36
Gerade werden die Filmrechte verhandelt. Und das ist vielleicht der Punkt, wo ich dann doch so eine Art von Ressentiment empfinde: 25 Jahre am Existenzminimum rumgekrebst und gehofft, einmal eine 2-Zimmer-Wohnung mit Ausblick zu haben. Jetzt könnte ich sechsstellige Summen verdienen, und es gibt nichts, was mir egaler wäre.
Dreizehn :
17.1. 2011 12:09
Traum: Ich habe eine vier- oder fünfjährige Tochter, der ich sagen muß, daß ihre Mutter im Gefängnis ist. Ich versuche es ihr mit einem Gedicht zu erklären, aber der Reim in der letzten Zeile verlangt hartnäckig das Wort “tot”. Tags zuvor Sylke Enders’ Mondkalb gesehen.
Randy Pausch gegoogelt.
Fast täglich Dschungelcamp. Die Überraschung, daß man ein Dutzend Menschen casten kann, inmitten dessen Rainer Langhans der mit Abstand Vernünftigste ist.
Auch das ein Schritt in Richtung Normalität. Im Frühjahr noch verursachte Heidi Klum im Fernsehen mir Todesangst. Nicht polemisch jetzt oder als lustige, feuilletonistische Übertreibung, sondern tatsächlich: Todesangst, nackte Angst, das nutzlose Verrinnen der Zeit. Mußte ich sofort wegschalten. Und weiß auch nicht so genau, wie ich das finden soll, daß es jetzt wieder anders ist.
21.1. 2011 20:29
A. angerufen. Stimme nicht wiedererkannt, Person nicht wiedererkannt. Komplett in die Esoterik abgedriftet, zutiefst deprimierend. Immer noch der Text von der Suche und der mit Spannung erwarteten anderen Welt. Sie spricht mit Tieren, und die Tiere sprechen mit ihr. Teilen ihr mit, daß sie vom Treiben der Menschen auf diesem Planeten genug haben. Liebe meines Lebens, schönste Frau der Welt.
Ich könnte mir jetzt in den Kopf schießen, wenn ich das nicht eh schon könnte.
23.1. 2011 13:09
Lektüre: Madame Bovary. Mit Anfang zwanzig mal gelesen und nicht kapiert. Im Vergleich zu Stendhal langweilig gefunden. Jetzt völlig
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