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Arbeit und Struktur - Der Blog

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Titel: Arbeit und Struktur - Der Blog Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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Tigerkopfjacke. Der Versuch, sich in der Feldmark zu verlaufen. Die in die Luft geworfenen Frösche. Die picknickenden Erwachsenen, die endlich eingreifen. Das aus Hagebutten gewonnene Juckpulver, zu kostbar, um eingesetzt zu werden. Die Jäger, die neben sich Bündel Hasen liegen haben wie Bündel Mohrrüben. Die aus enorm vielen Teilen bestehende Türklinke am Kornhoop 42. Der furchtbare Schäferhund auf dem Weg dorthin. Die in die Eisblumen gedrückten Münzen, die bis zum Morgen auf den Fensterrahmen wandern. Das verlassene Bauernhaus am Tennisplatz. Die Brotschneidemaschine, mit der dort jemand getötet wurde. Andrea, die das farblose Blut auf dem Boden erklärt. Der Hase im Schnee, der sich fangen läßt, der von meinem Arm stürzt, der frontal gegen die Hauswand rennt und in die Kasematte fällt. Monika aus meiner Klasse, die das Tier in einen Karton setzt und zum Tierarzt fährt, der es einschläfert. Meine Scham, mein Entsetzen. Die Alpträume von Hasen mit trüben, schneeblinden Augen, die Stücke aus meinem Oberschenkel reißen. Usw.

    22.12. 2010 10:22

    Befund: Gliöse Veränderungen, vermutlich therapieinduziert (Strahlen), kein Tumorwachstum, Verdacht auf Niedergradiges, sagt der Radiologe, sehr unwahrscheinlich bei hochgradigem Glioblastom, sagt der Onkologe, Schrankenstörung regredient. Also alles ok? Ja, alles ok. Im ersten Jahr sterben ist für Muschis.

    24.12. 2010 8:20

    Traum: Treffe C. im Jenseits (Nebel, hellgelb) und weiß, irgendwas stimmt nicht. Einer von uns beiden ist hier falsch. Vielleicht beide.

    Das Bild offenbar Folge des tags zuvor im Spiegel gelesenen Moltke-Briefwechsels, wo Helmuth James kurz vor seiner Hinrichtung spekuliert, vielleicht “gleichzeitig” mit seiner Frau im Jenseits anzukommen und nicht erst, wenn sie auch stirbt, da die Kategorien von Raum und Zeit dort keine Geltung haben. Wie er aus “Herrn Kant” gefolgert hat.

    Die Frage, die ich mir auch als Kind schon immer gestellt habe, seit ich bei unseren Nachbarn zum ersten Mal religiösen Vorstellungen begegnete: Ob es diese armen Irren leichter haben am Ende. Offensichtlich nicht. Moltke geht es nicht gut, und man weiß nicht, warum, wo ihm doch nichts Entsetzlicheres bevorsteht als das ewige Leben. Stattdessen Erwägung entwürdigender Gnadengesuche an Hitler und Himmler.

Zwölf : 

    25.12. 2010 10:03

    Lektüre: Nabokovs Autobiographie. Bis auf drei, vier starke Stellen enttäuschend. Immer großer Anhänger seiner Arroganz gewesen, aber die Eitelkeit hier unerträglich. Auch keine gute Idee, die erlebten Katastrophen des 20. Jahrhunderts unter herablassend heiteren Landschaftsbeschreibungen zu begrünen und zu begraben. Wahnsinnig unsympathisch alles. Ich wünschte, ich hätte das nicht gelesen.

    Gut: Der Anfang mit den beiden Dunkelheiten. Das Mädchen, das sich von ihm auf der Straße nicht erkannt glaubt. Das erste Gedicht.

    25.12. 2010 14:04

    Meine Mutter erzählt, ich sei mit vier Jahren Zeuge der Mondlandung gewesen. Wußte ich nicht. Kann mich nicht erinnern. Auf meinen Wunsch hin habe man mich nachts aus dem Bett geholt, 21. Juli 1969, 3:56 Uhr.

    Deutliche Erinnerung dagegen an das andere große, nächtliche Aufstehen meiner Kindheit: Muhammad Ali vs. Antonio Inoku. Im Haus meiner Urgroßmutter auf Helgoland. Sie war über neunzig und schaute sich den ganzen ermüdenden Kampf ebenfalls an. Irgendwann mußte der Kampfrichter kommen und Isolierband über Inokus Stiefelspitzen kleben, das beim Herumtreten immer wieder abging.

    27.12. 2010 20:00

    Fußball mit meinem Vater und seiner Gruppe, die seit knapp 50 Jahren zusammenspielt. Der Hausmeister hat in den Ferien die Schlösser an der Halle getauscht, und ein Dutzend 70jähriger steigt hinten über den Zaun und marschiert durch den halben Meter tiefen Schnee auf dem Sportplatz zum Hintereingang, um mit der Begeisterung (und teilweise auch den Fähigkeiten) von Fünfjährigen eine Stunde zu kicken. So hatte ich mir mein Alter auch immer vorgestellt.

    2.1. 2011, 8:50

    Traum: Ein Alleinunterhalter auf der Hammond-Orgel spielt Schuberts Am Brunnen vor dem Tore und gleitet in ein Medley entsetzlicher Schlager über. Im Halbschlaf keine Schwierigkeiten, in dem Traum das Verlöschen meiner geistigen Energie zu erkennen. Schon einige Wochen praktisch nicht mehr richtig gearbeitet, Übergang in den alten Stumpfsinn.

    6.1. 2011 11:50

    Fünfzig Meter durchgekrault und dabei fast abgesoffen. Irgendwas mache ich falsch. Ich bin zwar nicht ganz von der

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