Arbeit und Struktur - Der Blog
steinernen Konsistenz meines Vaters, der, wenn er die Luft ausatmet, innerhalb von Sekunden zum Grund sinkt, aber die ideale Wasserlage hab ich, glaube ich, auch nicht.
6.1. 2011 20:26
Mit der Diagnose leben geht, Leben ohne Hoffnung nicht. Am Anfang konnte ich mir immer sagen: Ein Jahr hast du mindestens noch. Ein Jahr ist eine lange Zeit. Auch wenn ich den körperlichen und geistigen Verfall, der von den avisierten 17 Monaten noch abgehen sollte, dabei ausblenden mußte. Aber nachdem der größere Teil der statistisch erwartbaren Zeit vorüber ist, ist der Blick auf den schwindenden Rest immer beunruhigener. Obwohl ich mich (private Milchmädchenrechnung) nach zehn Monaten ohne Rezidiv bereits auf die rechte Seite der Glockenkurve durchgeschlagen zu haben glaube. Aber die Tage schwinden dahin, und mit ihnen die Hoffnung. Das Arbeiten wird immer schwerer. Die letzten Wochen krampfhaft Kapitel zusammengeschraubt, das Gefühl der Sinnlosigkeit überrennt mich.
Deshalb jetzt noch mal das in Deutschland nicht zugelassene Avastin gegoogelt, das mit Sonderantrag bei der Krankenkasse bei rezidivierendem Glioblastom zum Einsatz kommt. Eine komplette Remission des Tumors gelingt Avastin bei 1,2 Prozent, zusammen mit Irinotecan bei 2,4 Prozent. 2,4 Prozent! Wußte ich gar nicht. Das ist jedenfalls nicht null.
Weitergegoogelt: Bei über neunzig Prozent der Glioblastome, lese ich, kommt es zum Rezidiv, bei weit über neunzig Prozent. Was soll das denn jetzt heißen? Ich war immer von hundert ausgegangen. Keine Statistik zeigt Überlebende; aber es endet jede Statistik zum Glioblastom sowieso bei 5 Jahren, dann haben sich ausreichend viele verabschiedet, und für die sich im horizontnahen Nebel der x-Achse verlierende Kurve interessiert sich die Medizin nicht mehr so. Aber es sind nicht null. Es sind anscheinend nicht null. Wobei den meisten Fällen von Langzeitüberlebenden offensichtlich eine falsche Histologie zugrundeliegt.
9.1. 2011 10:44
Traum: Gartenparty bei Holm. Liege neben dem Rasensprenger und höre den Gesprächen zu. B. kritisiert Tschick, insbesondere die Episode mit der Großfamilie, die erkennbar in “Kringeldorf” spiele, wo die Straßen bekanntlich überfüllt seien von Ärzten. Warum hätte ich das verschwiegen? Stattdessen beschriebe ich Warnemünde. Er findet das Buch scheiße, er findet auch den Autor scheiße, und im Halbschlaf höre ich ihn reden und freue mich wie ein kleines Kind. Dann krieche ich auf allen vieren unter dem Rasensprenger herum.
Tom Lubbock gestorben, 28 Monate nach seinem ersten Anfall. Einer seiner letzten Texte beschäftigt sich mit der kleinen gelben Mauerecke auf Vermeers Ansicht von Delft. Darüber hab ich vor rund zehn Jahren auch mal geschrieben.
11.1. 2011 12:43
Lektüre: Duves Vegetarier-Buch. Hatte mich vor einem Jahr beim Lesen von Consider the Lobster schon mal zu keiner rechten Meinung durchringen können.
Was ich an Foster Wallaces Argumentation nicht nachvollziehen kann, ist, wie man der Frage, ob und wieviel Schmerzen im Hummer beim Tötungsvorgang auftreten und auf welche Arten diese Schmerzen minimiert werden können, soviel Aufmerksamkeit widmen kann, daß die Frage nach der Tötung darin untergeht. Artgerechte Haltung und humanes Sterben – ich meine, natürlich sind Schmerzen nicht toll, und die seitenlange Untersuchung, woran man Schmerzempfinden in einem nicht sprechen könnenden Lebewesen erkennt, epistemologisch sehr interessant. Aber angesichts der endgültigen Auslöschung der Existenz scheint die Frage des außerdem damit verbundenen Schmerzes etwa so zweitrangig wie, sagen wir, die Frage, ob man bei der Folter dem Menschen einen Fuß abschneiden darf, was die Rückkehr in ein späteres Leben für immer auf unerträgliche Weise behindern und unnötig erschweren würde, während Waterboarding, da es keine solchen Folgen hat … etc.
Inkonsequenterweise bin ich kein Vegetarier. Unter anderen Umständen würde ich mich jetzt vielleicht umstellen. Aber meine Ernährungssituation ist desolat. Immer gewesen. Haribo, Konservendosen, ein bißchen Obst. Als ich nach Berlin kam, war meine größte Befürchtung, ich müßte verhungern, und mein erster Impuls, eine Wohnung in Mensanähe zu suchen.
Ich wünschte, der Staat würde diesen ganzen Mist einfach verbieten und mir so die Entscheidung abnehmen. Was mir selbst sehr befremdlich vorkommt. Ich habe für mein Leben nie Gesetze gebraucht.
11.1. 2011 12:58
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