Arcanum – Das Geheimnis
liebevoll tadelnden Tonfall fort:
„Darf ich annehmen, dass Du an dem Artefakt auch schon etwas mehr als flüchtig herumgefingert hast, wofür Du nachträglich den Segen der Tübinger Archäologie brauchst?“
„So weit habe ich noch gar nicht gedacht, aber wenn Du es schon erwähnst. Ja, das wäre schön.“
Christopher musste grinsen.
Herbert seufzte, „um was handelt es sich denn?“
Christopher wurde wieder ernst.
„Wenn ich das wüsste. Es scheint eine goldene Kalenderscheibe aus Mittelamerika zu sein. Zahlensymbole der Maya kombiniert mit einem Kruzifix. Du hast doch Email, oder?“
„Logisch“, erwiderte Herbert.
„Und die Adresse?“
„Senex@uni-tübingen.de, warum?“
„Ich schieße Fotos von der Vorder- und Rückseite und schicke sie Dir. Das ist einfacher als beschreiben.“
„Okay“.
„Senex, der Alte, wie kommst Du denn zu dem Namen?“, fragte Christopher, während er die Speicherkarte in den Fotoapparat schob.
„So nennen mich meine Studenten hinter meinem Rücken. Mir hat der Spitznamen gefallen und sei mal ehrlich, wir gehören inzwischen zur reiferen Jugend.“
Herbert hatte recht. Die Zeit des Studiums war lange vorbei. Wahrscheinlich verband sie deshalb auch die gleiche Sehnsucht, einmal aus ihrem Alltag aus zu brechen und vielleicht gerade mithilfe eines geheimnisvollen archäologischen Fundes, einen Akzent in ein in die alltägliche Routine abgeglittenes Leben zu setzen.
Darin lag aber die Gefahr, dass der Wunsch Vater des Gedankens würde und sie dazu neigten, in die goldene Scheibe Dinge hinein zu interpretieren, die sie nicht hergab.
Christopher legte das Kunstwerk so unter der starken Beleuchtung zurecht, dass das Relief plastisch hervortrat. Er machte mehrere Fotos aus verschiedenen Richtungen und drehte die Scheibe dann um. Auf der Rückseite hatte er noch nicht mit der Reinigung begonnen. Sie schien ihm weniger interessant. Er sah zwar rätselhafte Linien, das Ganze machte aber einen weitaus weniger spektakulären Eindruck.
Er schoss auch von der ungereinigten Rückseite einige Fotos, die Herbert bestätigen würden, dass er sich wenigstens hier wie ein echter Profi verhalten, und demütig die Anweisungen des Professors aus Tübingen abgewartet hatte.
Er lud die Bilder in eine Email bei AOL , gab ihr den Titel Goldene Scheibe aus Hirsau und klickte auf Abschicken .
Da er die digitalen Fotos nicht komprimiert hatte, um Herbert die Möglichkeit zu geben, Details zu vergrößern, dauerte der Upload gute zwei Minuten.
Herbert war noch in der Leitung. Christopher hörte ihn mit seiner Maus herumklicken, dann ein nervöses Trommeln von Fingern auf einen Schreibtisch. Schließlich meldete sich Herbert mit einem ersten Kommentar.
„Ich bin Deiner Meinung. Mehrere Zahlenfolgen in Maya-Hieroglyphen, ein Kruzifix mit ungewöhnlichem Korpus und das alles aus dem Wald bei Hirsau. Es kann eigentlich nur eine fantastische Geschichte dahinter stecken. Hast Du übrigens die anhaftende Erde gesichert?“
„Klar entschuldige, ich vergaß zu erwähnen, dass ich auch noch zwei Holzfragmente habe, die ich gerade eintüte und an Dich schicke. Eines ist verkohlt und aus dem Dreck von der Rückseite und das zweite…“, Christopher schluckte kurz, „das habe ich unter dem Stein entnommen, den Du im Schnittpunkt der Kreuzesbalken siehst“.
Da der erwartete Tadel ausblieb, fuhr Christopher fort:
„Mein Gefühl sagt mir, dass das Ding vor dem Einfall der Spanier, also vor 1519 hergestellt wurde. Denkst Du das auch?“
„Vielleicht - ja. Du weißt aber, dass wir dann für das Kruzifix einen echten Erklärungsnotstand hätten. Wir sollten eine metallurgische Untersuchung machen lassen. Kannst Du vorsichtig, und ich meine sehr vorsichtig, mit einer Hartmetallfräse ein winziges Stück abmachen? Wir haben hier Zugang zu den weltweiten Daten aller historischen Minen. Es ist dann einfach, den Herstellungsort und die –zeit ziemlich genau zu bestimmen.“
„Okay. Ich leg noch ein drittes Tütchen dazu mit einer Probe. Geht morgen früh per Express an Dich.“
„Hast Du auf der Rückseite schon was identifizieren können? Mein Bild hier gibt nicht allzu viel her.“
„Nein, so weit war ich noch nicht“, erwiderte Christopher.
„Die Striche könnten zu einer Art Landkarte gehören“, mutmaßte Herbert nach einer längeren Pause, die nur durch seine trommelnden Finger immer wieder unterbrochen wurde.
Die Idee war Christopher noch nicht gekommen, aber tatsächlich. Wenn
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