Arcanum – Das Geheimnis
beide Holzproben datieren.
Die Radiokarbonanalyse machte sich die Tatsache zunutze, dass in der Luft ein geringer Anteil des radioaktiven Kohlenstoffisotops C14 als Kohlendioxid vorlag. Die gleiche Konzentration stellte sich durch Atmung, Nahrungsaufnahme und Ausscheidung in lebenden Organismen ein. Nach dem Tod kam dieser Austausch zum Stillstand, sodass der Anteil des langsam zerfallenden Isotops in den nun leblosen Organismen nach rein physikalischen Gesetzen stetig abnahm.
Da das Holz im Boden offensichtlich einem Brand zum Opfer gefallen war, würde Christopher in den Aufzeichnungen der Stadt- und Klostergeschichte Hirsaus und Calws im entsprechenden Zeitraum nach dokumentierten Waldbränden suchen. Dazu müsste er aber die Umgebung genauer inspizieren. Ein Waldbrand würde anders als ein Lagerfeuer in einem weitläufigen Gebiet schwarze Einlagerungen hinterlassen.
Herr Wallinger hatte den Fundort beschrieben und Christopher glaubte, an dem fraglichen Ort mit seinem Mountainbike schon etliche Male vorbei gefahren zu sein.
Warum war ihm nie etwas aufgefallen? Die starken Herbstregen hatten an den steilen Hängen Erdrutsche ausgelöst, und vermutlich war die Scheibe dadurch an die Oberfläche gelangt. Er musste Herbert anrufen und ihm die Einzelheiten für die Holzanalyse mitteilen.
Herbert war praktisch immer zu erreichen. Zeitweise nächtigte er auf einer zerschlissenen Couch in seinem Institutsbüro. Christopher schaute auf die Uhr. Es war halb neun. Er wählte die Nummer des archäologischen Sekretariats, dessen Nummer um diese Zeit direkt zu Herbert durchgeschaltet wurde. „Archäologisches Institut Tübingen, Sie sprechen mit dem Vorzimmer von Professor Mendelsohn, Epstein am Apparat, wie kann ich Ihnen helfen?“, tönte ein Wortschwall aus der Muschel, dessen atemberaubende Geschwindigkeit so gar nicht zu einer Fakultät passte, an der die Schnelllebigkeit des einundzwanzigsten Jahrhunderts spurlos abprallte.
Er hatte als Letztes mit einer jugendlichen Frauenstimme gerechnet und stammelte irritiert eine Entschuldigung.
„Verzeihen Sie, ich weiß, wie spät es ist, aber für gewöhnlich erreiche ich Herrn Mendelsohn um diese Zeit persönlich.“
„Wir sind befreundet“, fügte er nach kurzer Pause erklärend hinzu.
„Ach, Herr Martinez aus Calw“, erwiderte Frau Epstein wissend, obwohl er ihr seinen Namen nicht genannt hatte.
„Herbert hat oft von ihnen gesprochen. Ich war mal eng mit ihm befreundet, sehr eng sogar“, erklärte sie, „jetzt bin ich aushilfsweise seine Sekretärin.“
„Ich heiße übrigens Silvia. Darf ich Sie beim Vornamen nennen? Ist ihnen Christopher oder Chris lieber?“, fragte die Aushilfssekretärin, als würde das ausstehende Ja auf den ersten Teil der Frage bereits den zweiten Teil rechtfertigen. Christopher überlegte kurz, ob er mit dieser wildfremden Frau überhaupt per du sein wollte, entschloss sich aber, nicht altmodisch zu sein und erwiderte:
„Christopher wäre mir lieb.“
„Gut. Nachdem das geklärt ist, stelle ich Dich durch ... Christopher“.
In diesem letzten Christopher steckte etwas Anzügliches. Vor seinem geistigen Auge materialisierte sich für einen Augenblick das Bild eines leicht bekleideten Pin-up-Girls .
„Herbert brütet über ein paar alten Knochen. Ist mir ganz recht, wenn Du ihn unterbrichst“, spulte Silvia noch schnell herunter und riss ihn aus seiner erotischen Fantasie.
Als Christopher den Mund öffnete, um etwas zu erwidern, ertönte schon der hässliche Pausenfüller der Telefonanlage.
„Mendelsohn“, tönte es wenige Sekunden später ungehalten aus der Muschel.
„Hallo Herbert“.
„Christopher?“, Herbert stöhnte.
„Tut mir leid. Ich bin ein wenig gereizt. Silvia stellt jeden Anrufer durch. Dauernd irgendwelche Hobbyarchäologen, die was haben, das ich begutachten soll. Eine Menge Bockmist und ich komme zu nix“, beeilte er sich in versöhnlichem Ton hinzuzufügen.
„Herbert, ich habe auch etwas, das Du begutachten solltest“, erwiderte Christopher, „und es ist kein Bockmist.“
Herbert Mendelsohn wusste, dass sein Freund Christopher, wäre er nicht Zahnarzt geworden, einen respektabler Archäologen abgegeben hätte. Er hatte mit ihm schon viel und auf höchstem Niveau gefachsimpelt. Christopher war zudem seine wichtigste Quelle, über die er zahnärztlichen Instrumente beziehen oder besser schnorren konnte, die für Ausgrabungen und Restaurierungsarbeiten unentbehrlich waren.
Herbert fuhr in einem
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